Verzweifelt ohne Raserei
Oper für die Ohren: Die Neueinstudierung von Verdis „Otello“ im Nationaltheater
Wer hinschaut, bringt sich um die Wirkung. Francesca Zambellos Regie beschränkt sich ohnehin darauf, nicht zu stören. Also ist es besser, die Augen zu schließen. Denn der neue Otello verhindert durch seine erratische Erscheinung, dass einem die Tragödie zu Herzen geht. Wohl deshalb hielt sich der Beifall für ihn in Grenzen.
Das ist schade, denn der Südafrikaner hat eine Wahnsinns-Stimme. Beim „Esultate!“ wirkte er imponierend, aber noch befangen. Dafür legte er den Zweit-Auftritt „Abasso le spade!“ umso strahlender hin. Im Duett mit Desdemona mied Botha das übliche Dauerforte und riskierte beim „Venere splende“ ein lyrisches As, das vom kräftig flirrenden Staatsorchester leider fast verschluckt wurde.
Differenziert gesungen, erratisch gespielt
Auch den Fall des venezianischen Feldherrn gestaltete der Sänger sehr differenziert. Aus dem „Ora per sempre addio“ holte Botha bei seinen Konkurrenten ungehört sanfte Schattierungen heraus. Beim „Sangue“-Ruf und im Racheduett bliebt er an imponierender Kraft nichts schuldig. Man muss aber kein Purist sein, um seinen Sprechgesang in „Dio! mi potevi“ anfechtbar zu finden, wo Verdi eine abgedunkelte „Voce soffocata“ vorgeschrieben hat.
Leider gelingt die anspruchsvolle Rolle des italienischen Repertoires ohne Schauspielkunst nur halb. Otellos Raserei fand in der Gesandtenszene nicht statt. Auch im letzten Monolog war trotz der sorgfältig abgetönten, dreimaligen „Morta!“-Verzweiflung die große Shakespearetragödie Verdis aufs pur Musikalische zurückgeworfen.
Gute Chargen
Die übrige Besetzung war gleichermaßen herausragend. Adrianne Pieczonka ist dramtisch vielleicht etwas zu reif, aber die Rolle verliert durch Selbstbewußtsein das Klischee vom Opferlamm. Lucio Gallo versteht Jago mit seiner hellen Stimme nicht als Dämon, sondern als Zyniker. Mit einer weniger outrierten und überakzentuierten Traumerzählung wäre der Italiener noch besser.
Der Koreaner Wookyoung Kim verwandelte den Cassio mit lyrischer Kraft und Schönheit in eine Hauptrolle. Nach einer lauten, aber wenig intensiven Sturmszene steigerte sich das Staatsorchester unter Bertrand de Billy von Akt zu Akt. Auch in dieser Neueinstudierung wurde deutlich, dass das italienische Repertoire unter Bachler wieder wichtiger wird.
Robert Braunmüller
Wieder am 17., 20., 23. 3., 25. und 30. 7. Karten Tel. 2185 1920