Verschwurbelte Welt
Christian Stückl über Brecht/Weills „Dreigroschenoper“ und seinen Spagat zwischen Münchner Volkstheater und den Passionsspielen von Oberammergau
Schon 2004 wollte Christian Stückl Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ aufführen – mit den Riederinger Musikanten. Aber der Suhrkamp Verlag und die Erben des Komponisten Kurt Weill erlaubten keine Uminstrumentierung. Statt dessen inszenierte Stückl den „Brandner Kaspar“ – bis heute seine erfolgreichste Produktion. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Am Samstag hat die „Dreigroschenoper“ im Volkstheater Premiere.
AZ: Herr Stückl, wer hat das jetzt musikalisch einstudiert?
CHRISTIAN STÜCKL: Micha Acher von der Band The No-twist. Er hat für uns schon die Musik zu „Richard III.“ und „Hamlet“ gemacht. Da habe ich mir gedacht, der ist der Richtige. Für die neun Musiker haben wir extra einen Orchestergraben gebaut.
Die „Dreigroschenoper“ ist ein Selbstläufer. Was macht das Stück von Brecht und Weill so populär?
Die Leute setzen auf bekannte Stücke. Obwohl noch keiner weiß, wie’s wird, haben wir schon jede Menge Kartenvorbestellungen. Es ist schwierig zu sagen, was macht ein Stück so toll, dass man’s spielen muss? Hier ist die Kombination von viel Musik und Text das Schöne, das haben wir bei den Proben gemerkt.
Macheath sagt: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Das klingt heute aktueller denn je.
Es geht nicht vordergründig um Sozialkritik oder eine bessere Welt, denn: „Die Verhältnisse, sie sind nicht so.“ Brecht beschreibt nicht die Welt, wie er sie haben möchte, sondern wie sie ist. Peachum hat herausgefunden, wie man mit Bettlern Geld machen kann, und ein Imperium aufgebaut. Er ist eine kleine korrupte Sau. Bei Macheath und Polly denkt man erst, das sei eine große Liebesgeschichte. Doch in der Hochzeitsszene merkt man, das funktioniert überhaupt nicht. Mackie heiratet, weil die Frau das will. Der Polizeichef Brown ist genauso korrupt wie alle anderen. Es ist eine völlig verschwurbelte Welt, da steckt der Kommunismus genauso drin wie der Augsburger Katholizismus. Brecht hat Spaß gehabt, alles reinzuhauen.
Wie groß ist der Spaßfaktor bei Ihnen auf der Bühne?
Ich hoffe, groß. Aber ob die Leute lachen, stellt sich ja erst hinterher raus.
Die originale „Beggar’s Opera“ von John Gay wurde 1728 uraufgeführt, Brechts „Dreigroschenoper“ 1928. In welcher Zeit spielt sie bei Ihnen?
Nicht in den 1920er Jahren. Es ist eine bunte Welt, das kann heute, gestern oder übermorgen sein. Stefan Hageneier hat für die verschiedenen Orte einen Einheitsraum geschaffen. Eins war lustig: Ich war vor den Proben in Indien und habe auf einem Rummelplatz eine Geisterbahn gesehen mit echten Menschen als Gespenstern. Auch Peachums Bettler sind ja so eine inszenierte Mannschaft. Als ich zurückkam, hat mir Stefan Hageneier Bilder von indischen Jahrmärkten gezeigt, die ihn inspiriert hatten, und ich hab’ nur gedacht: Da war ich doch grad.
Ihr Intendantenvertrag am Volkstheater läuft bis 2013. Werden Sie verlängern?
Ich habe keine Ermüdungserscheinungen und Lust, weiterzumachen. Ich mag das Haus und freue mich, dass ich in Oberammergau wohnen und in München arbeiten kann. Ich habe 2002 das Haus mit 680000 Euro Jahresumsatz übernommen, den haben wir jetzt fast verdoppelt. Wir werden nicht mehr nur als kleinstes, drittes Theater der Stadt wahrgenommen. Aber es gibt eine Grenze, da gehen die Zahlen nicht mehr beliebig nach oben. Wir spielen im Februar in 28 Tagen 33 Vorstellungen – mehr kann man nicht machen. Man darf sich nicht zu sehr wiederholen, muss immer wieder Luft reinlassen, damit die Leute nicht sagen, jetzt wird’s langweilig. Aber ich hab’ noch nicht das Gefühl, jetzt passiert nix mehr.
Künftig inszenieren Sie zusätzlich auch jedes Jahr in Oberammergau ein Stück. Wird Ihnen die Arbeit nie zuviel?
Als ich das Volkstheater übernommen habe, hab’ ich zum damaligen Kulturreferenten Julian Nida-Rümelin gesagt, Oberammergau gehört für mich dazu. Da hab’ ich jetzt seit 30 Jahren Verantwortung. Es ist bisher bei der Passion und den Zwischenspielen gegangen, also wird’s auch künftig gehen.
Ihre Intendanten-Vorgänger haben immer wieder über den sehr knappen Etat geklagt. Sie nicht. Wie kommen Sie aus?
OB Ude und Nida-Rümelin hatten mir gesagt: Du musst mit dem Geld hinkommen. Beim Studium der Unterlagen von Ruth Drexel hab’ ich gedacht, da kannst du ja nicht mehr schlafen. Ich habe die Personalkosten extrem runtergedrückt und konnte nötige Nachschläge vor dem Stadtrat vertreten. Einen Nachtragshaushalt haben wir nie gebraucht. Natürlich könnte man mehr Geld brauchen und mehr Mitarbeiter in manchen Abteilungen. Aber in den acht Jahren hatte ich nicht das Gefühl, dass man mit dem Geld nicht leben kann.
Es geht aber nur, weil Sie vorwiegend mit jungen Schauspielern arbeiten.
Ich hab’gewusst, dass ich mir keine großen Namen leisten kann. Brigitte Hobmeier war die erste, die für das Haus wichtig wurde. Als sie an die Kammerspiele ging, hab’ ich schon gefürchtet, das geht jetzt so weiter. Aber mir macht’s Spaß, immer wieder junge Leute und neue Gesichter zu suchen. Da verrostet man nicht. In Indien hat mich ein Wahrsager gefragt, ob ich künstlerisch tätig sei. Ich hab’ gesagt, ich sei Geschäftsführer einer GmbH. Er meinte: „Damit werden Sie nicht glücklich, Sie müssen künstlerisch tätig sein.“ Aber als künstlerischer Intendant muss man halt auch mit Geld umgehen können.
Gabriella Lorenz
Volkstheater, 22., 23., 24. Jan., 19.30 Uhr (alle ausverkauft), Tel. 523 46 55