Verklärung im Farbrausch
Der heilige Paulus nennt das Kreuz ein „Skandalon”. Dass Jesus stellvertretend für die Sünden der Menschheit den Opfertod gestorben sei, ist eine auch für Christen befremdliche Angelegenheit. Ein „Ärgernis”, wie Luther die Stelle aus dem Korinther-Brief übersetzt.
Olivier Messiaens Oper „Saint François d’Assise” handelt von solchen Fragen. Die Festspielpremiere im Nationaltheater geht ihnen nicht dekorativ aus dem Weg: In den Szenen, die von der Annahme des Leidens und der Nachfolge Jesus Christus durch Franziskus handeln, setzt Hermann Nitsch auf der Bühne Aktionisten ein, die nackt und blutbeschmiert die Provokation der christlichen Kernbotschaft unterstreichen.
Mehr Ritual als Drama
Viele Zuschauer ließen da die Jalousien herunter. Dabei ist die szenische Konzeption des österreichischen Künstlers, der sich sein Leben lang an christlichen Symbolen abgearbeitet hat, rundweg stimmig: Im dritten Akt, wenn Franziskus die Wundmale Jesus Christus empfängt, entsteht ein riesiges rotes Schüttbild, das im Schnürboden des Theaters hängt. Beim Tod des Heiligen werden erst die Regenbogenfarben des Lebens symbolisch ausgegossen und später mit dem Weiß-Gelb der Verklärung übermalt.
Messiaens Oper ist mehr Ritual als Drama. Wie im epischen Theater wurde auf offener Bühne alles für die nächste Handlung hergerichtet. Die Sänger deuten die Aktion mehr an, als lebendige Charaktere zu verkörpern, die es in diesem Werk nicht gibt. Niemand sollte sich daran stören, dass diese Szenen von Natascha Ursuliak inszeniert wurden: Theater ist stets eine Werkstatt, in der wie im Atelier eines Malers viele Leute zusammenarbeiten.
Nagano ließ Ecken und Kanten
Der mittlere Akt lebt von der starken Bühnenpräsenz der Sopranistin Christine Schäfer als Engel. Messiaens Wunsch, diese Rolle möge mit einem keuschen Pamina-Sopran besetzt werden, geht beispielhaft in Erfüllung. Erstaunlicherweise ist es gelungen, mit Paul Gay einen exzellenten Sänger für die Titelrolle zu finden, dessen Timbre und gelassener Lyrismus an José van Dam erinnern, der die Rolle in der Pariser Uraufführung von 1983 und bei den Salzburger Festspielen autoritativ verkörperte.
Messiaens wohllautende Musik erschließt sich auch mit der Moderne unvertrauten Ohren, weil viel wiederholt wird und Erinnerungsmotive für Orientierung sorgen. Kent Nagano schliff die Ecken und Kanten der Musik im Unterschied seiner Salzburger Einstudierung nicht ab, das Bayerische Staatsorchester und der Chor bewältigten die Riesenaufgabe souverän. Es ist gut, dass dieses durch seinen glühenden Ernst überwältigende Meisterwerk des 20. Jahrhunderts endlich in einer angemessenen Aufführung auch in München angekommen ist.
Wieder am 5. und 10. 7., 16 Uhr, Infos zu Restkarten unter Tel.2185 1920