Verführende Furie mit Sehnsucht
Simone Kermes berauscht den Herkulessaal mit unerhörtem, stimmlichem Barockzauber
Ihr künstlichen Klassik-Puppen, geht nach Hause! Hier kommt ein Gewitter aus Fleisch und Blut! Hochhackig in schulterfreiem, schwarzem Tüll-Reifrock-Kleid wirbelt sie herein. Die feuerrote Hochsteckfrisur schon leicht Sturm-zerzaust singt sie wie ein Panther, tänzelnd vom Schiff, das den Stürmen ausgeliefert ist – aber nicht resignativ. Hier kämpft eine starke Katze, tänzelt wie über schwankende Schiffsplanken, schnippt andeutungsweise mit den Händen mit, wippt rudernd im Ganzkörpereinsatz mit, stampft hochhackig mit Stiefeletten den Theaterdonner des Unwetters auf die Bretter. Und den Herren auf den teuren ersten Plätzen kommt es bedrohlich-vergnüglich vor, als ob diese Frau – einer Furie gleich – zum Sprung ins Parkett ansetzt.
Ist das klassischer Popzirkus? Nein, das Gegenteil!
Macht Simone Kermes, Klassik zum Pop-Zirkus? Im Gegenteil! Die Leipzigerin schafft Affekt ohne Affigkeit, Effekt ohne nach ihm zu haschen und ist dabei so unfassbar natürlich theatralisch, dass dem Publikum – gebannt hüstellos trotz Winterzeit – der Atem stockt, ihr dabei aber nie die Stimme wegbleibt. Überhaupt muss Simone Kermes nichts überspielen.
Denn ihr barocker Koloratursopran ist so spielerisch, beweglich, mühelos, dass sie – mit einem frech-erotischen Augenzwinkern – noch in stürmischster Arie von Nicolo Porpora ein paar Triller-Arabesken einbaut, die wie Champagner in der Goldkehle perlen. Nach kurzer Überwältigungs-Schockstarre im Publikum bricht ein Begeisterungs-Sturm los.
Als Kontrastprogramm: Töne aus wunderbarer Sehnsuchtferne
Jetzt setzt Simone Kermes noch eins drauf – indem sie aus dem Taumel hinabsteigt: ins Grab! Porporas „Morte amara“ und dann Scarlattis „Cara tomba“ sind das ruhige Kontrastprogramm, das ihren Stimm- und Gefühlsumfang zeigt: Hier – in den trauernden Tiefen – kann die gerade noch aus der fantastischen Rocky-Horror-Klassik-Show entsprungene mit zurückgenommener Stimme – mezza voce – Töne aus wunderbarer Sehnsuchtsferne so kunstvoll ergreifend heranholen, dass man fast zum Taschentuch greift. Nicht minderer, aber ergriffener Applaus! Überhaupt der Applaus! Simone Kermes zieht ein neues, für hochwertige, oft komplizierte klassische Konzerte oft unzugängliches Publikum an, das man – sympathisch aufgebrezelt - auch in Edel-Pop-Konzerten finden würde. So klatscht man dann auch bei den Konzertstücken (von Hasse, Pergolesi und Domenico Gallo) zwischen den Sätzen (siehe auch, Kulturfrage), was sowohl der Dirigent und geistiger Kopf dieses entdeckungsfreudigen Barockkonzepts, Claudio Osele, mit mildem, unarrogant-amüsiertem Lächeln quittiert, sich freuend an der Begeisterung des Publikums, dass am Liebsten wie bei einen Jazz-Konzert die Soli mit Applaus quittieren würde.
Händel verliert den Plagiatsprozess
Das Orchester Le Musiche Nove brachte fließende, mitreißende Italianitá in den Herkulessaal. Nachdem am Ende das Programm mit Johann Adolph Hasse Hasse schloss und der Text Simone Kermes wieder auf stürmische See geführt hatte, lobte sie das Münchner Publikum für diese tragende Mischung aus Konzentration und Gefühlsüberschwang und schenkte fünf Zugaben. Was den Abend auch so unvergleichlich machte war, dass auf jegliche über-bekannte Barock-Evergreens verzichtet wurde. Und als man die Ur-Version „Ombra mai fu“ von Bononcini hörte, war klar: Der übergroße Händel hätte einen Plagiatsprozess gegen den relativ unbekannten Giovanni Bononcini glatt verloren!
Adrian Prechtel
Barock-CD: Simone Kermes: "Colori d'Amore" (Sony)
„Colori d’Amore“ (Sony)
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