Verdi des kleinen Mannes?
Ohne Verliebtheit fielen Puccini keine Melodien ein. Der Schriftsteller Helmut Krausser hat die Affären des Komponisten im Jahrzehnt nach 1904 akribisch recherchiert und in einen Dokumentarroman verwandelt. Er erzählt zum 150. Geburtstag von Giacomo Puccini am 22. Dezember über seine Leidenschaft zur Oper und seine Begegnung mit Carlos Kleiber auf dem Flur vor dem Orchestergraben des Nationaltheaters.
Ohne Verliebtheit fielen ihm keine Melodien ein. Der Schriftsteller Helmut Krausser hat die Affären des Komponisten im Jahrzehnt nach 1904 akribisch recherchiert und in einen Dokumentarroman verwandelt.
AZ: Herr Krausser, wie sind Sie zu Puccini gekommen?
HELMUT KRAUSSER: Mein Vater hat mich mit 15 in die Arena di Verona mitgenommen. Dort habe ich den dritten Akt von "Turandot" gesehen. Das ist die ideale Einstiegsdroge - auch für Jugendliche, die sonst wenig mit klassischer Musik anfangen können. Puccini steht meiner Seele nah - wie die Beatles oder Wagner.
Feingeister finden seine Musik kitschig.
Kurt Tucholsky hat Puccini den "Verdi des kleinen Mannes" genannt. Heute kann man sich hinstellen, und sagen, Puccini sei größer als Verdi. Vor 20 Jahren wäre man dafür verprügelt worden. Die Kritik behandelte Puccini lange sehr herablassend, obwohl er der populärste und erfolgreichste Opernkomponist seiner Zeit war.
Wie kommt der Wandel?
Man hat es damit zu erklären versucht, dass Puccini lange Zeit sehr nachlässig dirigiert und als eine Art Volksfestkomponist aufgeführt wurde, obwohl das den präzisen Angaben in seinen Partituren widerspricht. Aber das stimmt nicht, weil es auch früher ganz hervorragende Puccini-Dirigenten gab. Vielleicht sucht man den Grund am besten darin, daß großer Popularität immer auch großes Mißtrauen entgegenschlägt.
Was empfehlen Sie einem Puccini-Anfänger?
"Tosca" und "Turandot". Das sind Opern ohne Makel, die jede Generation begeistern. Mit Aufnahmen bin ich immer etwas vorsichtig. Die "Tosca" mit der Callas unter Victor de Sabata ist ein Klassiker. Aber ich mag zum Beispiel sehr die "Turandot" unter Erich Leinsdorf mit Birgit Nilsson und Jussi Björling. Die wird kaum jemals erwähnt. Aber diese Erfahrungen muss sich jeder selbst erarbeiten. Wir haben nicht alle die gleichen Ohren - Interpretationen sind auch Geschmackssache.
Gehen Sie oft in die Oper?
Ich bin ständig in Aufführungen. Vor ein paar Tagen habe ich in der Berliner Staatsoper "Turandot" in der Inszenierung von Doris Dörrie gesehen, die mir sehr gut gefällt. Aber ich stelle fest, dass Inszenierungen, die mir gefallen, bei der Kritik regelmäßig schlecht wegkommen. Die beste Butterfly, die ich je erlebt habe, war übrigens Mitte der 1980er Jahre Gwyneth Jones in München, obwohl ich ihr das als Wagnerheroine gar nicht zugetraut hätte. Sie war sagenhaft.
Sie waren früher Statist im Münchner Nationaltheater. Sind Sie auch in Puccini-Opern aufgetreten?
Ich glaube, einmal, in "La bohème" als Soldat beim Aufzug der Wache. Carlos Kleiber hat dirigiert. Er ist mir im Gang vor dem Orchestergraben begegnet und wünschte mir freundlich "Guten Abend", obwohl es für ihn gar keinen Grund gab, einem Statisten einen guten Abend zu wünschen.
Hat Puccini seine Frauen in den Opern porträtiert?
Ich glaube schon. Ein Beispiel: Es gibt eine Aufnahme der metallischen, sehr harten Sprechstimme seiner Gattin Elvira, mit der er nicht gegen Ende seines Lebens wirklich versöhnt zusammenlebte. Das erinnert schon sehr ans Register der Turandot. Vielleicht hatte er deshalb auch Schwierigkeiten, das apotheotische Finale über die Allmacht der Liebe zu vertonen. Puccini hatte ein paar Jahre zuvor übrigens eine Affäre mit der Münchner Baronesse Josephine von Stengel. Deren Mann wollte sich mit ihm duellieren, aber Puccini zeigte begreiflicherweise wenig Lust. Von einem Münchener Antiquar wurden Mitte der Achtziger auch Liebesbriefe Puccinis an Gilda dalla Rizza verkauft. Es wäre schön, wenn der heutige Besitzer dies lesen und sich bei mir melden würde.
Wen liebte er damals?
Ein paar Jahre zuvor hatte er eine Affäre mit der Münchner Baronesse Josephine von Stengel. Deren Mann wollte sich mit ihm duellieren, aber Puccini zeigte begreiflicherweise wenig Lust. Von einem Münchener Antiquar wurden Mitte der Achtziger Liebesbriefe Puccinis an die Sängerin Gilda dalla Rizza verkauft. Es wäre schön, wenn der heutige Besitzer dies lesen und sich bei mir melden würde.
Wie war das Beute-Schema?
Puccini stand auf zierliche Frauen, wie sie auf den Postkarten nackter Schönheiten zu sehen sind, die er gelegentlich an Freunde verschickte.
Sie haben Operntexte für Moritz Eggert geschrieben. Hat er Sie so schlecht behandelt wie Puccini seine Autoren?
Ich wusste, dass ein Librettist demütig der Musik dienen muss. Nur so war es überhaupt zu ertragen. Aber das Ergebnis, „Helle Nächte“, lohnt jede Qual.
Müssen Sie wie Puccini verliebt sein, um zu schreiben?
Nein. Es kommt ja mehr auf die Vielfalt der Empfindungen an. Ein gleichmäßiges Hochgefühl oder eine gleichmäßige Saturiertheit stört beim Schreiben. Ich bin keineswegs ein Anhänger der Theorie, dass man zur Ausübung der Kunst leiden müsse. Das ist Schwachsinn. Aber das Gegenteil stimmt auch nicht.
Robert Braunmüller
Helmut Krausser: „Die kleinen Gärten des Maestro Puccini“ (DuMont, 381 S., 19.90 Euro)
Mehr Bücher über Puccini
Zum runden Jubiläum hat Dieter Schickling seine Biografie über den Komponisten überarbeitet (Reclam, 463 Seiten, 39.90 Euro). Gestützt auf viele Dokumente, schildert Schickling Puccinis Vita in plastischer Art vor dem Hintergrund der sozialen, politischen und kulturellen Veränderungen um die Jahrhundertwende, am Beginn der musikalischen Moderne.
Den Opern allein widmet sich Volker Mertens „Puccini. Wohllaut, Wahrheit und Gefühl“ (Militzke, 296 Seiten, 29.90 Euro). Dem Germanist und Opernfan glückte eine gründliche, allgemeinverständliche Einführung in das Werk des großen Theaterkomponisten. Auch der Kenner erfährt Neues: Wer wusste schon, dass Puccini Wagners lange „Meistersinger“ für italienische Ohren kürzte?
RBR
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