Verblasste Utopien

Eugen Ruge, Gewinner des Deutschen Buchpreises 2011 und Platz 1 der Bestsellerliste, ist der Literat der Stunde – er stellt seinen Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts” in München vor
von  Michael Stadler

Man muss nicht immer Stoßgebete an die Leser senden, um Erfolg zu haben. Eine vier Generationen umspannende ostdeutsche Familiengeschichte, geschrieben von einem über 50-jährigen Roman-Debütanten, entpuppt sich zum bisherigen Buch-Hit des Literaturherbstes. Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts" erzählt vom 90. Geburtstag eines DDR-Funktionärs kurz vor dem Mauerfall und entwickelt auf drei Zeitlinien das berührend-komische Porträt einer Familie im Zerfall. Der Roman wurde dafür mit dem „Aspekte”-Literaturpreis und dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

AZ: Herr Ruge, seitdem Sie den Deutschen Buchpreis gewonnen haben, wurden über 250 000 Exemplare gedruckt. Wie stark hat sich Ihr Leben durch den Erfolg geändert?
EUGEN RUGE: Das hat sich temporär verändert. Ich bin viel unterwegs auf Lesereise oder gebe Interviews wie dieses. Allerdings ist es so, dass die Lesungstermine, die ich in diesem Jahr habe, schon alle vor dem Buchpreis fest standen. Man muss auch sagen, dass vor dem Buchpreis schon starkes Interesse an meinem Roman herrschte. Wir haben ihn vor Erscheinen bereits nach halb Europa und sogar nach Amerika verkauft, ohne Werbung, sondern einfach, indem wir die Fahnen verschickt haben.

Vor drei Jahren gewann Uwe Tellkamp den Deutschen Buchpreis für „Der Turm". Hatten Sie die Befürchtung, dass er mit seinem Roman Ihr Terrain bereits abgegrast hatte?
Diese Befürchtung hatte ich schon. Ich schrieb zu der Zeit, als Tellkamps Buch erschien, habe aber Romane, die thematisch meinem ähnelten, bewusst nicht gelesen, um mich auch nicht beeinflussen zu lassen. Als ich den „Turm" dann später las, habe ich festgestellt, dass er doch so anders ist als mein Roman, dass eigentlich nur noch die Stichworte DDR und Familie übrig bleiben. Insofern stehen sich diese Bücher nicht im Wege.

Und wieso soll es auch nicht mehrere DDR-Familienromane geben?
Sicherlich. Über das Mittelalter und den Faschismus wird heute auch immer noch geschrieben, und es gibt bestimmt immer wieder Anlässe, auch den Sozialismus aus neuer Perspektive zu beschreiben. Gleich nach der Wende wurden Romane veröffentlicht – man denke an Brussigs „Helden wie wir” – die direkt die DDR und den Mauerfall auf eine sehr komische Weise abgehandelt haben. Jetzt entstehen Bücher mit einem gewissen historischen Abstand. Allerdings habe ich schon das Gefühl, dass ein gewisses „Zwischenergebnis" erst mal erreicht ist.

Der Protagonist Alexander erscheint als Ihr Alter ego. Auch er wird im Ural geboren, auch er verlässt die DDR Ende der Achtziger Richtung Westen. Was haben Sie erfunden, um dieser Figur eine Distanz zu sich selbst zu geben?
Das fängt mit dem 90. Geburtstag an, der ja eine zentrale Linie in dem Roman ist. Mein echter Stiefgroßvater war 10 Jahre vor der Wende schon tot, dieser Geburtstag hat also nie stattgefunden. Logischerweise ist daher auch erfunden, dass Alexander an diesem Tag in den Westen abhaut. Die Wahrheit besteht in der Vorstellung: Wie hätten diese Menschen auf diese Konstellation reagiert. Ich hatte auch selbst mal eine Krebsdiagnose wie Alexander, die ist aber inzwischen vom Tisch, man muss sich um mich keine Sorgen machen. Alexander habe ich nach dieser Diagnose nach Mexiko fahren lassen. Das habe ich nicht getan.

Der Urenkel von Großvater Wilhelm im Buch, Markus, erscheint als politisch desinteressierter Jugendlicher. Man kann den Titel des Romans auch so verstehen, dass das politische Bewusstsein sich immer mehr verdüstert.
Gut, das kann man so lesen. Zumeist wird es so verstanden, dass das Licht der sozialistischen Utopie immer mehr verblasst. Diesem Markus, der fast schon ein Nachwende-Kind ist, dem ist einfach alles fremd, was der Großvater erlebt hat, für was der gekämpft hat, Gerechtigkeit, Sozialismus. Das ist ihm letztlich völlig egal. Ein Anliegen des Buches ist es ja, Geschichten weiter zu erzählen. Zu erzählen, nicht um eine politische, sondern eine menschliche Wirklichkeit zu bewahren. Im Grunde ist Markus also der eingeschriebene heimliche Empfänger der Botschaft.

Bei diesem Debüt spürt man den Drang, ihre eigene Familiengeschichte zu verarbeiten. Wird es einen zweiten Roman geben?
Vom Theater habe ich mich ja ein wenig abgewendet, das war auch einer der Gründe, weshalb ich den Roman geschrieben habe. Es gab eine Zeit lang dieses ausgesprochene Regie-Theater in Deutschland, besonders in Berlin. In diese Phase bin ich hineingerutscht, als ich die ersten Theaterstücke schrieb, da war ich schon weit über 30. Und es war schwer, sich durchzusetzen. Das Regietheater braucht den Autor eigentlich nicht, und heute werden immer neue junge Stars gesucht. Je älter man wird, desto uninteressanter wird man für das Theater, so ist mein Eindruck.

Also werden Sie jetzt weiter Romane schreiben?
Ich sitze seit 20 Jahren vormittags an meinem Schreibtisch und schreibe, und wenn diese ganze Welle hier vorbei ist, werde ich das wieder tun. Ich wüsste auch gar nicht, was ich anderes machen soll.

Eugen Ruge stellt „In Zeiten des abnehmenden Lichts” (Rowohlt, 432 S., 19.95 Euro) am 23. November um 20 Uh, im Literaturhaus aus

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