Venedig sehen und lieben
Die Liebe ist eben stärker als alle Widrigkeiten – auch im Venedig der Renaissance: Charlotte Thomas geht in ihrem neuen Roman auf Zeitreise in Italien.
Venedig an einem schönen Sonntag im Frühling. 100000 Touristen sind an einem solchen Tag in der Stadt, fahren mit der Gondel, füttern Tauben und schieben sich durch die engen Gassen zwischen Rialtobrücke und Markusplatz.
Genau dort beginnt auch Charlotte Thomas’ historischer Roman „Die Lagune des Löwen“. Wenn die neunjährige Laura mit ihrem Vater über den Markusplatz des Jahres 1502 flaniert, Stelzenläufer und Budenbesitzer sieht, dann gelingt es der Autorin dank präziser Beschreibungen, ein genaues Bild von Venedig zu einer Zeit zu entwerfen, als der Markusplatz noch mit Backsteinen im Fischgrätmuster gepflastert war und die Türme des Markusdoms mit Blattgold überzogen.
Die Akribie hängt wohl mit dem ursprünglichen Beruf der Autorin zusammen. Charlotte Thomas heißt bürgerlich Eva Völler, ist gelernte Juristin und hat unter mehreren Pseudonymen inzwischen über 40 Bücher veröffentlicht. Angefangen hat sie unter ihrem eigenem Namen mit Frauenkomödien, die bekannteste wohl „Vollweib sucht Halbtagsmann“, die mit Christine Neubauer verfilmt wurde. Die vielen Pseudonyme ergeben sich durch die unterschiedlichen Genres; sie wolle keine falschen Erwartungen beim Leser wecken, meint die Autorin.
Inzwischen hat die allein erziehende Mutter von fünf Kindern die Juristerei aufgegeben und widmet sich nur noch dem Schreiben, ist als Charlotte Thomas heimisch geworden im Genre des historischen Romans. Gerade hat sie mit „Die Lagune des Löwen“ nach „Die Madonna von Murano“ ihren zweiten Roman im Venedig der Renaissance vorgelegt. In diese Epoche hat sie die Handlung verlegt, weil sie diese extrem spannend findet und „sympathischer als etwa das finstere, klerikalerere Mittelalter“.
In „Die Lagune des Löwen“ ist der Spaziergang über den Markusplatz für lange Zeit Lauras letzter unbeschwerter Moment. Kurz darauf sterben ihre Eltern und sie muss mit ihrem neugeborenen Bruder Matteo ins Waisenhaus, wo sie von einer Nonne sexuell missbraucht wird. Eindringlich ist hier Thomas’ Beschreibung, aus Sicht eines Kindes, das nicht versteht, was mit ihm geschieht. Für Thomas war das die schwierigste Stelle des ganzen Romans. Bis zum Schluss hat sie sie vor sich her geschoben, mit ihren Ängsten als Mutter gerungen.
Doch sie erkannte, dass es diese Brutalität braucht. Es sei der Wendepunkt in der Geschichte, sagt sie, „Laura muss alles mögliche auf sich nehmen, um nie wieder in eine solche Situation zu kommen.“ Und genau das tut sie. Als sie in den Palazzo eines Patriziers gebracht wird und belauscht, dass sie und Matteo die Opfer eines blutigen Rituals werden sollen, flüchtet sie in allerletzer Minute und schlägt sich daraufhin mit Diebstählen durch. Sie trifft Antonio, einen jungen Dieb, der davon träumt, ein erfolgreicher Geschäftsmann zu werden.
Über knapp ein Jahrzehnt reicht Thomas’ Geschichte. Sie webt in die Fiktion sowohl historische Begebenheiten ein wie den Brand der deutschen Handelsniederlassung, Venedigs Kriege und den Ausbruch der Pest, als auch historische Personen wie Heinrich VIII. oder Tizian, einen der wichtigsten Maler der Renaissance. Sie zeigt nicht nur die Pracht des damaligen Venedig, sondern auch die Schattenseiten, Armenviertel, Waisenhäuser.
Was Thomas’ Geschichte zusammenhält, ist die Liebesgeschichte zwischen Laura und Antonio. Natürlich dauert es seine Zeit, müssen immer wieder Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, doch schließlich finden sie zueinander. Die Liebe ist eben stärker als alle Widrigkeiten – auch im Venedig der Renaissance.
Matthias Lüdecke
Charlotte Thomas: „Die Lagune des Löwen“ (Ehrenwirth Verlag. 960 Seiten, 19.95 Euro)
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- Christine Neubauer