Valery Gergiev: Ein Palazzo in Venedig, ein Penthouse in New York

Man mag die Grundthese, Valery Gergiev habe als Putins Schattenaußenminister mit großer russischer Musik Verbrechen des Regimes vergessen gemacht, für eine polemische Überspitzung halten. Trotzdem ist das Material, das die Mannschaft des Kremlkritikers Alexej Nawalny für ein Youtube-Video über den Immobilienbesitz des ehemaligen Chefs der Münchner Philharmoniker zusammengetragen hat, ziemlich interessant.
Dafür muss man nicht russisch können, ein Twitter-Account reicht: Auf dem Kurznachrichtendienst steht eine englische Zusammenfassung dieser Recherche der Nawalny-Mitarbeiterin Maria Pevchich (@pevchikh).
Valery Gergiev will seine Immobilien loswerden
Schon im März, als die Mailänder Scala, die New Yorker Metropolitan Opera und die Bayerische Staatsoper ihre Verträge mit Gergiev auflösten, meldete der "Corriere della sera", der Dirigent wolle italienische Immobilien im Wert von 150 Millionen Dollar verkaufen. Dazu gehörten neben Häusern in Mailand eine Villa an der Amalfiküste (mit römischen Ruinen und einem aragonesischen Turm) sowie in Venedig der Palazzo Barbarigo am Canal Grande, das berühmte Caffè Quadri und einige Läden am Markusplatz.

Das Erbe von Mäzenin Yoko Nagae
Den Großteil dieser Immobilien erbte Gergiev von der 2015 verstorbenen Künstlerin und Mäzenin Yoko Nagae, die ihrerseits den italienischen Pharma-Industriellen Ceschina beerbt hatte. Laut Pevchich besitzt Gergiev auch ein Penthouse in New York. Diese Immobilie habe er russischen Behörden verschwiegen, obwohl er verpflichtet sei, ausländischen Immobilienbesitz offenzulegen.
Um die Eigentumsverhältnisse dieser 165 Quadratmeter großen Wohnung auf der 56. Etage des New Yorker Lincoln Centers nahe der Metropolitan Opera zu klären, erbat Pevchich nach der Premiere von "Pique Dame" an der Mailänder Scala vom Dirigenten extra ein Autogramm - am gleichen Abend, an dem Putins Angriff auf die Ukraine begann.
Zahlte er sich selbst 4,3 Millionen Dollar aus?
Gergiev soll sich den Recherchen zufolge als Chef seiner eigenen Wohltätigkeitsstiftung zwischen 2018 und 2020 selbst ein Gehalt von 4,3 Millionen Dollar spendiert haben. Die Valery Gergiev Charitable Foundation wird von Staatsbanken wie der Gazprombank, VTB Bank und Rosneft sowie durch russische Oligarchen finanziert. Bis zum Kriegsbeginn zählten auch Nestlé und Mastercard zu den Förderern.
Stiftungszweck ist die Unterstützung junger Künstler und die Popularisierung klassischer Musik. Laut Pevchich handelt es sich eher um eine Geldwaschanlage, die sich mit dem Chartern von Flugzeugen, dem Kauf von Luxusimmobilien und der Bezahlung von Gergievs Stromrechnungen beschäftigt.
Eine Wohltätigkeitsstiftung zur Selbstbereicherung
Auch nach russischem Recht dürfte der mit Quittungen und Grundbuchauszügen belegte Vorwurf, die Stiftung habe stockwerkeweise Apartments in Moskau und Petersburg erworben, heikel sein. Auch eine Datscha mit eigenem Konzertsaal soll aus Mitteln der Stiftung finanziert worden sein. Dass er Wohltätigkeitsstiftungen zur Selbstbereicherung missbrauche, hatte Nawalny 2017 bereits dem Premierminister Dmitri Medwedjew vorgeworfen.
Möglicherweise besitzt Gergiev auch die holländische Staatsbürgerschaft
Nach Pevchichs Recherchen soll Gergiev auch die holländische Staatsbürgerschaft besitzen. Das ist eine durchaus heikle Sache: 2014 wurde ein Flugzeug der Malaysia Airlines auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über umkämpftem Gebiet im Donbass abgeschossen, wobei alle Passagiere - überwiegend Niederländer - starben.
Laut internationalen Ermittlern schossen prorussische Separatisten die Maschine ab. Und wer widmete den Toten 2014 in Rotterdam nicht nur ein Gedenkkonzert, sondern gleich das ganze Gergiev-Festival? Natürlich Valery Gergiev, der Kulturbotschafters jenes Präsidenten, der für den Flugzeugabschuss die politische Verantwortung trägt.
Gergiev ist sogar Ritter des Ordens
Gergiev ist nicht nur einfacher Holländer. Er wurde von Königin Beatrix auch zum Ritter des Ordens vom Niederländischen Löwen ernannt. Da können wir ja fast froh sein, dass Gergiev nicht lange genug in München amtiert hat, um sich der Medaille "München leuchtet" würdig zu erweisen. Und für den hiesigen Immobilienmarkt war seine Gage - zumindest zum gegenwärtigen Wissenstand - offenbar doch ein bisschen zu mager.