Uwe Timms Hassliebe zu München und die Entdeckung der Wut
Die Bandbreite von Uwe Timms Werk ist gewaltig. Er schrieb das Drehbuch für sein Jugendbuch "Rennschwein Rudi Rüssel" oder die "Buby Scholz Story", grosse politische Romane wie "Heisser Sommer", "Morenga" oder "Rot" und seine Novelle "Die Entdeckung der Currywurst" wurde in über zwei Dutzend Sprachen übersetzt. Für sein literarisches Werk und seine Bedeutung im kulturellen Leben Münchens erhält Timm heute den Kulturellen Ehrenpreis der Stadt, in der sich der 73-jährige mit seiner Ehefrau, der Übersetzerin Dagmar Ploetz, schon seit Jahrzehnten heimisch fühlt.
AZ: Herr Timm, Sie haben Ihre berufliche Karriere als Kürschner begonnen. In Ihrem jüngsten Roman "Vogelweide" heisst es: "Sonderbar, dachte er, das Handwerk wird in Deutschland weit geringer geachtet als die Kunst." Haben Sie darauf eine Antwort gefunden?
UWE TIMM: Ich habe das Handwerk des Kürschners gerne und engagiert betrieben. Aber beim Handwerk kommt halt irgendwann der Punkt, an dem auch die Wiederholung einsetzt. Das ist in der Kunst nicht der Fall. Natürlich gibt es auch künstlerisches Handwerk wie etwa bei den Gold- und Silberschmieden oder im gesamten Modebereich. Die Akribie und die Genauigkeit eint Kunst und Handwerk ohnehin. Aber wenn man die Schriftstellerei so betreibt, wie ich sie verstehe, gibt es einfach den Akt der Wiederholung nicht: Da ist jedes Buch inhaltlich und stilistisch immer auch eine Neuentdeckung für mich.
Ist der Kürschner im Schriftsteller Timm noch wiedererkennbar?
Ich schreibe ja sehr viel in Montagetechnik, das ist schon wie beim Pelzmantel, bei dem man die Stücke aneinandernäht - die Farbe muss stimmen, die Haarlänge muss stimmen. Und dieses Zusammenbauen und dabei die ganze Form im Kopf zu haben, das mag schon eine ferne Erinnerung an meinen früheren Beruf sein. Das macht mir auch Spass, ich habe ja fast nie linear erzählt.
Ihre grossen Romane wie "Rot" oder zuletzt "Vogelweide" handeln auch von einer Desillusionierung der 68er-Generation. Direkt vor Ihrer Haustür in der Oettingenstrasse wurden Miethäuser abgerissen und durch Luxuswohnungen für mehrere Millionen Euro ersetzt. Das politische Ziel Ihrer Generation, das Leben solidarischer und sozial gerechter zu gestaltenzu gestalten, scheint verfehlt worden zu sein.
Klar, die Vorstellung einer Revolution, wie wir sie damals hatten, ist gescheitert. Da könnte man lange darüber diskutieren. Unsere Vorstellungen waren utopisch, auch unsere Sprache war wohl falsch, viel zu akademisch. Aber im Bereich der Mentalität, des Umgangs miteinander hat sich doch vieles verändert, auch in der Pädagogik. Wir wurden in der Schule noch geschlagen, das ist gar nicht mehr vorstellbar. Und die Frauen, die konnten damals nicht selbständig ein Konto eröffnen. Ich denke, die Gesellschaft hat sich schon durch die Impulse von damals sehr entwickelt.
Aber die soziale Gerechtigkeit nicht?
Ich schaue aus dem Fenster auf Wohnungen, die 11 000 Euro den Quadratmeter gekostet haben. Vieles hat sich verändert, das sieht man schon an Alltagsdetails wie den neuen Hunden hier. Diese edlen Jagdhunde mit bläulichem Fell, dafür sind die ganzen Zamperl weg. Plötzlich steht hier ein Bugatti auf der Strasse, meistens im Halteverbot, und diese teuren Panzer fahren durch die Gegend.
Und hundert Meter die Strasse runter geht es weiter: Park Avenue.
Das war ein normales, nettes Mietshaus, das abgerissen wurde, jetzt werden die Wohnungen angeblich für 20 000 Euro den Quadratmeter angeboten. Da muss ich mich schon manchmal im Sessel festhalten, wie sich das Lehel hier verändert.
Der Wohnwahnsinn ist ein zentrales Thema im Münchner Kommunalwahlkampf, aber kann Politik solche Prozesse überhaupt steuern?
Politik ist eben dafür da, das Mögliche auch zu machen. Sie muss reagieren. In Hamburg wird jetzt beispielsweise versucht, eine Mietpreisobergrenze einzuführen - und natürlich hat die FDP gleich laut "Kommunismus" gerufen. Meine Tochter, die als Ärztin in Bogenhausen arbeitet, erzählt mir, dass die Krankenschwestern kaum mehr Wohnungen in München finden, die haben dann alle einen Hin- und Rückweg zur Arbeit, der wahnsinnig lang und teuer ist. Das ist einfach eine unglaublich kalte Gesellschaft geworden. Es gibt doch keinen Grund dafür, dass Posten im Finanzsektor irrsinnig gut bezahlt werden, aber sobald sie mit Menschen arbeiten, im sozialen Bereich, verdienen sie nur einen Bruchteil.
Ist die Beschäftigung mit Politik für Sie enttäuschend?
Nein, ich bin ein eher optimistischer Mensch. Und ich fand es immerhin erstaunlich, dass die FDP aus dem Bundestag geflogen ist. Die waren so zynisch, die haben den neoliberalen Bogen wirklich überspannt. Ich habe mich auch aus einem anderen Grund über Westerwelle aufgeregt: Der Mann geht mit seinem Lebensgefährten zur Festspieleröffnung nach Bayreuth, was er natürlich soll und darf. Aber zugleich betreibt er ein Bashing der 68er, ohne zu bedenken, dass genau die ihm als Vorkämpfer für liberale Bürgerrechte sein Leben in einer offeneren Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht haben.
Sie haben schon viele Literaturpreise erhalten, was bedeutet Ihnen der Kulturelle Ehrenpreis Münchens?
Das ist ein sehr schöner Preis. Literaturpreise haben manchmal so einen Geschmack, da sind vielleicht bestimmte Seilmannschaften in der Jury am Zug, das weiss man ja auch. Aber das ist beim Kulturellen Ehrenpreis etwas anderes, da ist die Jury auch zur Hälfte mit Stadträten besetzt. Der Preis hat für mich auch eine besondere Bedeutung, weil ich gerne in München lebe, ich fühle mich in dieser Stadt halt sehr wohl und zu Hause.
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