Urlaub? Nur mit einem Koffer Bücher
Aus einer völlig vergessenen Sammlung hat Winfried Nerdinger ein international beachtetes Architektur- museum gemacht. Nach 37 Jahren verabschiedet er sich in den Unruhezustand
Sein bescheidenes Mansardenbüro weit oben im TU-Gebäude an der Luisenstraße ist aufgeräumt. Die vielen Bücher stehen in Reih und Glied. Dagegen sind die schwarzen Le Corbusier-Stühle direkt leger. Winfried Nerdinger hat sich’s aber nie bequem gemacht. Der Mann ist ein Arbeitstier. Nach 37 Jahren am Architekturmuseum eröffnet er nächste Woche seine letzte Ausstellung – über den Architekten. Diesen Beruf hat er selbst einmal erlernt.
Herr Nerdinger, wie hätten Sie eigentlich gebaut?
WINFRIED NERDINGER: Ich habe tatäschlich ein paar Häuser gebaut. Kleine Sachen für Freunde, direkt nach dem Diplom, Anfang der 70er Jahre.
Wie darf man sich die Häuser vorstellen?
Ganz nüchterne, einfache Wohnbauten. Aber ich bin ja sofort zur Kunst- und dann Architekturgeschichte gewechselt, meine Neigung zur Reflexion war einfach größer.
Während Ihrer Studienzeit entstand immerhin das Olympiastadion. So etwas steckt doch an?
Ende der 60er, Anfang der 70er war wirklich eine Zeit des Aufbruchs. Da sind einige bedeutende Bauten entstanden, nicht nur das großartige Olympiazelt. Otto Steidle etwa hat an der Genter Straße eine Wohnanlage errichtet, die heute noch mustergültig ist. Dann die Eislaufhalle von Kurt Ackermann und Uwe Kiesslers Entwurf für die Staatskanzlei, der leider nicht ausgeführt wurde. Dafür haben wir jetzt dieses etwas überdimensionierte Gebilde am Hofgarten. Diese Zeit hat mich jedenfalls sehr geprägt.
Waren Sie bei den Studentendemonstrationen?
Ich bin auch mit Transparenten durch die Ludwigstraße gezogen und habe gegen die Bildungspolitik protestiert. An der Hochschule wurden ja manche Uraltstrukturen aufgebrochen. Und wenn auch manches übers Ziel hinausgeschossen ist – es begann endlich die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit!
Seit Studententagen ist die Maxvorstadt Ihr Terrain...
...erschreckend, ich bin seit 1965 an dieser Hochschule!
Dadurch haben Sie aber sehr genau beobachten können, wie sich das Museumsareal verändert. Zum Guten?
Das Viertel war ja wirklich verschlafen. Durch die Pinakothek der Moderne kam es zu einem unglaublichen Schub. Eine lebendige Kulturmeile hat sich entwickelt mit vielen Galerien. Aber mir fehlt langsam die Durchmischung. Es geht schon wieder zu sehr um die Vermarktung von Kunst, das Viertel versnobt. Ich hoffe, dass durch die Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) Bewegung ins Areal kommt.
Was halten Sie denn von den neuen Museumstempeln?
Das sind markante Bauten, fast auch Solitäre. Ich persönlich bin kein Freund der HFF, mir ist dieser Klotz schlichtweg zu monumental, auch etwas zu monoton. In seinem Gestus übertrumpft er fast die Alte Pinakothek. Die ist aber das bedeutendste Bauwerk in diesem Areal, etwas mehr Zurückhaltung wäre da angebracht gewesen.
Und die Sammlung Brandhorst?
Das ist ein angenehmer Bau geworden, der mit seiner Farbigkeit die Türkenstraße belebt und am Eingang in eine schöne Korrespondenz mit dem Sep-Ruf-Haus tritt – sicher eine Bereicherung. Den Foster-Bau beim Lenbachhaus kann ich noch nicht beurteilen, vom Vorbeigehen erscheint er mir eher etwas banal. Dass direkt hinter den Propyläen dieser goldglänzende Kasten aufgestellt wird, ist wenig erfreulich.
In München dominiert das Mittelmaß, haben Sie mal gesagt. Auch im Kunstareal?
Ja. Es ist kein Bau entstanden, der als Architektur eine Zugkraft entwickelt. Da fährt keiner her, um sich eine bedeutende Museumsarchitektur anzuschauen. Das gilt leider auch für unser eigenes Haus, die Pinakothek der Moderne. Man kann es auch anders sehen: Hier fügt sich alles ins Ganze, nichts sticht heraus. Aber wenigstens ein Bau mit internationaler Beachtung hätte schon gut getan.
Problematischer ist wohl der gesichtslose Wohnungsbau.
Da hat sich seit 1970 nicht mehr viel getan. Was die letzten Jahre gebaut wurde, ist nun wirklich Mittelmaß.
Wo liegt das Problem?
Erst wird großflächig geplant, dann parzelliert und an die Wohnungsbaugesellschaften übergeben. Da geht es um Gewinnmaximierung.
Könnte die Stadt da eingreifen?
Natürlich, sie könnte bei eigenen Grundstücken viel stärker steuern. Aber auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften sind mehr oder weniger privatwirtschaftlich organisiert und damit auf Gewinn ausgerichtet. Da entsteht meistens Architektur, die keine Experimente wagt, weil sich das nicht ausbezahlt.
Kann München überhaupt ein moderner Ort sein?
Von seiner Entwicklung her ist München kein Ort der modernen Architektur gewesen. Es gab zwar Ansätze zur Moderne – nehmen Sie den Blauen Reiter oder die Sezession. Aber das waren immer nur punktuelle Anstöße, die dann wieder versandet sind. Man kann natürlich auch sagen, das Wesen Münchens ist eben das Gediegene, nicht zu Extremen Tendierende. Aber es tut einer Stadt schon gut, wenn ab und zu mal frische Luft durchzieht. Denn was so ein Anstoß bewirken kann, sieht man ja an der Olympiaanlage. Das ist nun wirklich Weltarchitektur – und man müsste damit auch etwas pfleglicher umgehen.
Und wie wohnt der Architekturhistoriker Nerdinger?
In einer ganz normalen Wohnung in einem Neubau, der wurde 1990 errichtet, mitten in Untergiesing.
Kein tolles Architektenhaus?
Das ist ja auch immer eine Frage der Finanzen. Als Hochschullehrer verdient man nicht schlecht, aber auch nicht wieder so gut. Im Ernst: Ich fühle mich da sehr wohl. Man muss nicht nach Schwabing, um auf eine hohe Lebensqualität zu treffen.
Haben Sie einen Lieblingsplatz in München?
Oh ja, gleich hier in der Nähe, der Innenhof der Glyptothek. Das ist ein ausgesprochen schöner Raum, eine feine Mischung aus Klenze und Josef Wiedemann. Man nimmt ja gar nicht so wahr, dass die Glyptothek in weiten Teilen wieder aufgebaut ist.
Interessant, dass Sie einen im Grunde alten Bau nennen. Das würden die meisten tun.
Das eigentliche Problem der Debatte um die Rekonstruktion ist doch, dass moderne Architektur von weiten Teilen der Bevölkerung nicht angenommen wurde. Deshalb ist es zu diesen starken Rückwärtsbewegungen gekommen, vielerorts wollten die Leute ihre Altstadt wieder haben. Das kann man nicht vom Tisch wischen, das muss man diskutieren. Architektur ist der Raum der Öffentlichkeit, der Bürger, die drin leben.
Sind Sie Konzertgänger?
In Maßen. Früher bin ich viel ins Sprechtheater gegangen, aber auch da fehlt mir einfach die Zeit – sehr zum Leidwesen meiner Frau.
Wie stehen Sie denn zum neuen Konzertsaal?
Am sinnvollsten wäre es, den Gasteig komplett umzubauen, und dabei auch gleich das Äußere zu verbessern. Was einen Neubau betrifft, sehe ich bislang keinen sinnvollen Vorschlag, wo das passieren sollte. Der Eingriff ins Deutsche Museum erscheint mir problematisch, der Bau wurde für etwas ganz anderes errichtet. Da muss ich nun auch vom Denkmalschutz her argumentieren – bis auf die Außenfassade bliebe nichts mehr vom Bestelmeyer-Bau.
Und eine Isar-Philharmonie?
Das ist doch nur Ausdruck von Hilflosigkeit, weil man eben keinen Ort findet.
Sie verlassen Ende September das Architekturmuseum. Schweren Herzens?
Oh ja, ich habe hier fast mein ganzes Leben verbracht, meine ganze Energie eingesetzt und etwas geschaffen, das man herzeigen und geordnet übergeben kann. Als ich mich 1975 auf eine Stelle als Akademischer Rat beworben habe, wusste ich gar nicht, für was. Diese Sammlung war auch für uns Architekturstudenten nicht existent. In einem Abstellraum über der Bibliothek standen 30 Stahlschränke. Es gab kein Personal, keinen Etat. Ein Schatz im Dornröschenschlaf – und eine Chance, die ich genutzt habe.
Ohne Pause beginnen Sie am 1. Oktober als Gründungsdirektor mit der Umsetzung des NS-Dokumentationszentrums, über das wir noch ausführlich sprechen werden. Nichtstun kommt wohl nicht in Frage?
Wenn überhaupt, habe ich höchstens 14 Tage Urlaub im Jahr gemacht. Dann hatte ich aber einen großen Koffer mit Büchern dabei.
"Der Architekt - Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes" vom 27. September 2012 bis 3. Februar 2013 in der Pinakothek der Moderne