Unter dem Zentralgestirn

„Das Missverständnis” von Camus, inszeniert von Jan Phillipp Gloger im Cuvilliés Theater
von  Gabriella Lorenz

Er trägt die Sonne nicht nur im Herzen, sondern auch als sonnenblumengelben Pullover am Leib. Aber sein wohlgesinntes Herz trägt er nicht auf der Zunge, und deshalb nimmt „Das Missverständnis” zwischen dem Heimkehrer Jan und seiner Mutter und Schwester einen mörderischen Verlauf.

Albert Camus wollte damit 1943 eine Tragödie nach antikem Vorbild zeitgenössisch erzählen – herausgekommen ist ein kopflastiger Diskurs über Heimat, Fremdheit und und Familie. Regisseur Jan Philipp Gloger inszenierte im Cuvilliés Theater ein brav herunterbuchstabiertes existenzialistisches Thesen-Drama. Wohlwollender Premieren-Beifall.

Die Sehnsucht nach Sonne, Süden und einem leichteren Leben – das treibt die beiden Pensionswirtinnen, die in blauen Putzfrauenkitteln die Überreste ihres letzten Gastes in Müllsäcken entsorgen. Den reichen Gast und mehrere andere vorher haben sie im Fluss entsorgt. Mit deren Geld wollen sie sich ihren Traum erfüllen. Das Leben im rauen Böhmen (das bei Camus nicht wie bei William Shakespeare am Meer liegt) hat sie in Glogers Inszenierung zum Verwechseln ähnlich hart gemacht: Mutter (Ulrike Arnold) und Tochter Martha (Katharina Hauter) tragen die gleiche Brille, den gleichen strengen Pferdeschwanz. Und wollen beide den neuen Pensionsgast mit dem Sonnenlook und dem Freiheitsgeruch ferner Kontinente gar nicht ansehen. Denn: „Was man nicht kennt, tötet man leichter.”

Was sie nicht wissen: Dieses nächste, letzte Opfer ist der in die Fremde gezogene verlorene Sohn, der nach 20 Jahren mit seinem Vermögen ihr Retter und Erlöser sein möchte. Trotz aller Ratschläge seiner Frau (Anne Schäfer) will Jan sich nicht zu erkennen geben, sondern erkannt werden. Felix Klare spielt einen Zauderer, der unentschlossen zwischen den Welten mäandert, Vertrautheit sucht, doch nicht anbietet, sich nicht wirklich einlassen und den Rückzug offenhalten will.

Alles, was daran unheimlich sein könnte, hat auf Franziska Bornkamms langweiliger Bühne keinen Raum: Ein Triptychon dreier identischer Hotelzimmer, schick und steril. Dass Jan unter der renovierten Raufaser an einem Eck die alte Sonnenblumentapete entdeckt, erzeugt nicht den nötigen Hauch von Verfall. In diesen Räumen wirkt alles banal. Und Glogers Regie befreit die Schauspieler nur selten aus dem blassen psychologischen Realismus.

Nur wenige Szenen weisen ins Absurde und Existenzielle: Wenn Martha ihren Bruder anspringt, ist das mörderische Attacke, erotisches Attentat und Geschwister-Gerangel in einem. Und wenn Jans Frau und Mutter an beiden Armen an ihm zerren, und die Mutter als Gewinnerin sich ganz zärtlich und selbstverständlich zu ihm ins Bett legt, erfüllt sich damit ohne Jans Wissen seine Sehnsucht nach Heimkehr ins Mutterland. Zwei schöne Momente eines Abends, der ansonsten langatmig und konventionell wenig Sonne ins Herz bringt.

Gabriella Lorenz

Cuvilliés Theater, 29., 31. März, 1. April, 20 Uhr, Tel. 2185 1940

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