Unter dem Spielzeughimmel
Wenn das Leben es allzu unfreundlich mit einem meint, hilft nur der Ausbruch in die knallige Welt des Pop. Regen nicht eingängige Gitarrenriffs die Ausschüttung der Glückshormone an, blasen nicht ein paar fröhliche Farben die Trübsal weg? Vielleicht sollte ja Candide, Voltaires frohgemuter, bald ernüchterter Held, der nun den Weg auf die Bühne des Residenztheaters gefunden hat, sich öfters mal umblicken: An Schnüren lässt Bühnen- und Kostümbildnerin Sabine Kohlstedt Kinderspielzeug herabhängen. Vieles aus Plastik, jenem Stoff also, aus dem die oberflächlichen Popträume sind.
Den Clou von Voltaires Roman „Candide oder der Optimismus”, dass die einzige Ablenkung vom Argen der Welt im Bestellen des eigenen Gartens liegt, verrät Sebastian Blomberg gleich zu Beginn dem Publikum. Blomberg ist der nicht mehr ganz junge, aber doch kindliche Candide im wunderbaren Plastikland. Er muss die Reise antreten, die Voltaire 1759 in Buchform anonym veröffentliche, eine scharfe Satire auf den Leibnizschen Leitsatz, dass wir alle in der besten aller Welten leben. Diese Maxime entlarvt er mittels eines Schiffbruchs, des Erdbebens von Lissabon und diversen Enttäuschungen, die Candide erleben muss, als blanken Unsinn. Im Resi wird aus dem Desillusionierungs-Parcours eine bunte Unterhaltungsshow, die dramaturgisch wie ein losgelassenes Zirkuspferd in der Philosophie-Manege dahingaloppiert.
Ein Abend ohne Ecken - aber mit Kante
Noch im Zustand jugendlicher Euphorie verliebt sich Candide in die Baronstochter Kunigunde, weshalb Sebastian Blomberg und Hanna Scheibe Stehblues tanzen, als ob sie in einer Teenie-Keller-Party gelandet sind, bevor ihnen beim Ringelpiez mit Anfassen die Sinne schwinden. Ausgereift ist auch Friederike Hellers Inszenierung nicht, was ihr aber den chaotischen Charme eines sorglosen Performanceabends zwischen Klamauk und angedachter Tiefe verleiht. Voltaire für Einsteiger, sozusagen.
Hinten im Bühnenrund rockt die Band Kante, wenn sie nicht mit selbst gebauten Pop-Liedern manche klaffende Inszenierungslücke überbrückt. Manchmal ist Heller und ihrem Team eine gute Spielidee eingefallen. Manchmal nicht. So wird oft nur der Roman nacherzählt, immerhin einmal eindringlich, wenn Elisabeth Schwarz als gealterte Papsttochter von den Schicksalsschlägen ihres Lebens berichtet. Blombergs Candide lauscht ihren Worten ernst. Er ist es auch, der den Bogen wachsender Verzweiflung so beherzt spannt, dass der Abend sich nicht ganz in der Farce verliert.
Michele Cuciuffo ertänzelt sich als Don Fernando ein heiteres Solo, Jörg Ratjen darf sich als Philosoph Pangloss die Nerdbrille wie den brüchiger werdenden Glauben ans Gute immer wieder komisch zurechtrücken. Der Raum bleibt indes lange ein spielzeugverhangenes Konstrukt, in dem keine Luft für die Vorstellung wechselnder Orte bleibt. Wenn Candide im schönen El Dorado landet, wird der Spielzeug-Himmel endlich weggezogen. Die drohende Gedankenleere füllen die Darsteller mit Zitaten aus einem Radio-Gespräch von Theodor Adorno und Ernst Bloch über Utopie. An so einem Abend muss auch mal dahinphilosophiert werden, was durchaus lustig ist, genauso wie die spontane Publikumsansprache von Sebastian Blomberg beim ausfasernden Ende. 12 Kilo habe er bei den Endproben verloren, klagt der Hauptdarsteller und öffnete den Voltairschen Gedanken von der Unausweichlichkeit des Scheiterns hin zum Experimentierfeld des Theaters. Jeder will nur das Beste.
Schiffbruch erleidet dieser „Candide” nicht, sondern erreicht wegen der Energie von Darstellern und Band gerade noch sicher den Repertoire-Hafen.
Residenztheater, 7., 9., 23.12., 20 Uhr, sowie am 25.12., 18 Uhr, Tel. 2185 1940