Und immer siegt die Liebe
Einfach großartig: Der künftige Intendant Johan Simons inszenierte in den Kammerspielen die Kieslowski-Trilogie „Drei Farben: Blau, Weiß, Rot“
Langsam schwebt ein großes Auto vom Schnürboden herunter, kracht dann mit voller Wucht in den Bühnenboden und bleibt dort senkrecht stecken. Ein spektakuläres Bild für den Autounfall, bei dem Julie ihren Mann und ihre Tochter verliert. Nach „Die zehn Gebote“ hat Johan Simons in den Kammerspielen zum zweiten Mal Filme des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieslowski und dessen Drehbuchautor Krzysztof Piesiewicz auf die Bühne gebracht. Die Uraufführung „Drei Farben: Blau, Weiß, Rot“ in der Theaterfassung von Koen Tachelet erntete nach über drei Stunden begeisterten Applaus für das brillante Ensemble und den designierten Intendanten Simons.
Kieslowskis Filmtrilogie von 1994 verzahnt drei Episoden über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Im Vordergrund jedoch steht immer die zwischen- und mitmenschliche Liebe gemäß dem biblischen Hohelied.
Zwischen Versteinerung und Nervosität
Freiheit schafft sich die im Leid erstarrte Komponistenwitwe Julie in „Blau“ durch die Entäußerung von Besitz. Sie übergibt alles dem ungeborenen Kind der Geliebten (Lena Lauzemis) ihres Mannes. Erst dann kann sie mit Hilfe von dessen Freund Olivier, der sie liebt, das große unfertige Europa-Konzert des Toten vollenden und ein neues Leben beginnen. Sylvana Krappatsch oszilliert wunderbar trocken zwischen Versteinerung und Nervosität, Stephan Bissmeiers Olivier ruht trotz Enttäuschung in Treue fest. Hildegard Schmahl als demente Mutter vertuscht charmant, dass sie Julie mit deren Schwester verwechselt.
„Weiß“ ist eine absurde Gauner-Komödie aus dem postkommunistischen Polen. Der polnische Friseur Karol muss Paris verlassen, weil seine französische Frau Dominique sich scheiden lässt. In Polen wird er reich mit krummen Geschäften, täuscht seinen Tod vor und lockt Dominique als Erbin nach Warschau, wo sie wegen Mordes verhaftet wird. Nicht Rache will er, sondern Gleichheit, denn er liebt seine Frau noch immer. Thomas Schmauser, ein veritabler Komiker, spielt Karol rasant mit Slapstick und Groteske. Bissmeier ist sein melancholischer Kontrapunkt. Wiebke Puls glänzt als hin- und hergerissene Dominique, Sandra Hüller setzt als Sekretärin schrille Akzente, Steven Scharf und Edmund Telgenkämper geben in kurzen Röcken (Kostüme: Dorothee Curio) die Trottel-Gangster im Doppelpack. Doch bleibt die Komik immer dezent.
Fabelhafte Darsteller, starke emotionale Dichte
Brüderlichkeit zwischen den Generationen wächst in „Rot“. Ein verbitterter Richter im Ruhestand (glänzend: Jeroen Willems) hört die Telefonate seiner Nachbarn ab und kennt deren Geheimnisse. Die empfindsame Studentin Valentine (Sandra Hüller) durchbricht seine Isolation. In der Auseinandersetzung um Recht und Gerechtigkeit, Wahrheit und falsches Handeln öffnet sich der Zyniker wieder dem Leben, während Valentine Verantwortung für sich selbst lernt.
Auf der weitgehend leeren Bühne (Jens Kilian) nutzt Simons raffiniert die Farbsymbolik (Licht: Max Keller), die Musik (Paul Koek, Ton van der Meer) schafft Atmosphäre. Und die fabelhaften Darsteller erspielen mit minimalen Mitteln quasi aus dem Nichts eine unglaublich starke emotionale Dichte und Spannung. Eine große, großartige Aufführung.
Gabriella Lorenz
Kammerspiele, heute, 5., 9., 19. April, 19.30 Uhr, Tel.23396600
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