Unbefriedigende Schicksalsmelodie
Britta Böhlers Roman über Thomas Mann im Schweizer Exil: „Der Brief des Zauberers“
Seit Hans Pleschinskis Erfolg „Königsalle“ dreht sich das Thomas-Mann-Roman-Karussell wieder schneller. Jetzt hat die aus Deutschland gebürtige Rechtsanwältin Britta Böhler „Der Brief des Zauberers“ verfasst. In Holland ist sie eine bekannte Strafverteidigerin und Parlamentsabgeordnete (GroenLinks). Ihr im letzten Jahr holländisch und nun in einer deutschen Fassung erschienener Roman handelt vom Brief Thomas Manns, mit dem er sich am 3. Februar 1936 in der Neuen Zürcher Zeitung erstmals wieder öffentlich zu Wort meldete und zur Emigration bekannte: nach bereits dreijährigem Exil!
Doch von diesem veröffentlichtem Brief ist nur im ersten der drei als Erzählgerüst genutzten Tage vor dem Erscheinen näher die Rede. Thomas Mann hatte den Brief beendet, sogar persönlich in der Redaktion abgegeben, war dann aber von Zweifeln beschlichen worden, ob sein Bekenntnis den zu erwartenden endgültigen Verlust von Hab und Gut in Deutschland rechtfertige.
Die Autorin legt ihre Erzählung als musikalischen Dreisatz an, vom „Allegro, ma non troppo“ am ersten Tag über ein „Andante“ am zweiten zum „Finale, lebhaft, lebendig“ am dritten – alle numeriert und mit Tageszeiten-Zwischentiteln versehen.
Warum hat Thomas Mann so lange geschwiegen?
Das lineare Erzählen („Er hat Durst“, „Er überquert“) geht keine Experimente ein. Der nacherzählte erste Tag, den Thomas Mann am Ende im Tagebuch notiert, ist schon der originellste „Kunstgriff“. Ansonsten wird mit zahllosen – nicht kenntlich gemachten – Paraphrasen aus Schriften von, an und über Thomas Mann geradezu blauäugig eine Wirklichkeit vorgespiegelt, deren Erkenntniswert gering ist. Dazu verleitet jeder Gedanke des Helden und seiner Frau zu inneren Monologen, Rückblenden und Kurzreferaten.
Der Brief, der dem Roman den Titel gibt, ist dabei nur der Aufhänger. Warum Thomas Mann so lange geschwiegen hat, wird nicht erklärt.
Sein nur am Rand erwähnter Brief vom Frühjahr 1934 an das Reichsministerium des Innern in Berlin hätte da Aufschluss gegeben. Er habe, so Thomas Mann, obwohl er aus seiner „inneren angeborenen und naturnotwendigen Abneigung gegen das nationalsozialistische Staats- und Weltbild“ nie einen Hehl gemacht habe, nur deshalb geschwiegen, weil „die Geschichte ihr Wort gesprochen“ und er sich daher erst einmal aus allem Offiziellen zurückgezogen habe.
Dass Thomas Mann seine Bücher weiter in Deutschland erscheinen lassen wollte, dass Verwandte und Freunde zu schützen waren und er darauf hoffte, Hitler möge bald abgewirtschaftet haben, sind weitere gute Gründe. Jedenfalls hat „Thomas Mann im Exil“ keineswegs, wie der angehängte Essay von Leona Stahlmann behauptet, „meinungslos“ geschwiegen.
"Wo ich bin, ist Deutschland"
„Der Brief des Zaubereres“ versammelt mehr Meinen als Wissen, ist vielfach ungenau, nennt den folgenreichen „Protest der Richard Wagner-Stadt München“ gegen Thomas Mann einen „Aufruf“ und verwechselt noch manch anderes. Und seine „Betrachtungen eines Unpolitischen“ hat Thomas Mann auch nicht ein „unnötiges Buch“ oder gar ein „dummes Buch“ genannt – ganz im Gegenteil.
Der Grund für all diese Unschärfen liegt vielleicht darin, dass die Autorin, laut Presseinformation, aus ihrer persönlichen internationalen Situation heraus wissen wollte, „was es bedeutet, deutsch zu sein“.
Ein bedenkenswertes Thema. Und Thomas Mann, dessen berühmtes Bonmot „Wo ich bin, ist Deutschland“, den Roman abschließt, eignet sich dafür allemal. Doch weder sachlich noch künstlerisch kann diese Anfängerübung überzeugen. Der auf die Prominenz seines Helden schielende „Erguss aus der Vergangenheit“, wie es etwas ungelenk anlässlich der aus München ins Exil nach Zürich gesandten Möbel heißt, ist seinem Thema einfach nicht gewachsen.
Britta Böhler: „Der Brief des Zauberers“ (Aufbau Verlag , 220 Seiten, 18.99 Euro)
- Themen:
- Thomas Mann