Um den Finger gewickelt

"Welttheater" steht noch an einer der 137 geliehenen Vitrinen, und tatsächlich ist der große Auftritt der Goldschmiede in der Pinakothek der Moderne eine Inszenierung, für die gilt, dass es nichts gibt, was es nicht gibt:
von  Abendzeitung

MÜNCHEN - "Welttheater" steht noch an einer der 137 geliehenen Vitrinen, und tatsächlich ist der große Auftritt der Goldschmiede in der Pinakothek der Moderne eine Inszenierung, für die gilt, dass es nichts gibt, was es nicht gibt:

Ob Haare, Latex, Porzellan, tote Insekten oder Zahnarzt-Gips – die Absolventen und Studenten der Klasse von Otto Künzli können und wollen aus allem Schmuck und Geschmeide machen. Man findet Panzer aus Bettwäsche (Alexander Blank, 2006), emaillierte Kronkorken (Anton Heunis, 2000) oder Schweinshaxn an Miniatur-Fleischerhaken (Mielle Harvey, 1996).

Seit 1991 hat Künzli die Professur inne und so sind 1000 Objekte von 80 Künstlern aus aller Welt, die in diesen vergangenen 17 Jahren an der Akademie studierten und studieren, zu sehen. „Des Wahnsinns fette Beute“ heißt die überbordende Schau der Neuen Sammlung, wo man den 200. Geburtstag der Münchner Kunstakademie zum Anlass nahm, um mal so richtig in die Vollen zu gehen.

Genialischer Wahnsinn

Der Titel ist in jeder Hinsicht einleuchtend: Die meisten Schmuck-Künstler müssen von genialischem Wahnsinn befallen sein. Der Fantasie, was Formen-Reichtum und Material-Vielfalt angeht sind keine Grenzen gesetzt. Dennoch steckt hinter den meisten Kleinoden die Kenntnis traditioneller Goldschmiedekunst und ihrer Motivik.

Zwar soll Schmuck laut Künzlis Maxime stets nah am Menschen sein und nicht scheintot im Glaskasten liegen. Dennoch kann Tragbarkeit beim Entwerfen nicht oberste Regel gewesen sein. Es sei denn, man kalkuliert eine kurze Lebensdauer mancher nahezu skulpturaler Gebilde, die man um den Finger oder Hals wickeln soll, von Anfang an ein – was den Luxusartikel nur noch kostbarer, zu einer Art Memento mori in progress macht. Der Hauch von Vergänglichkeit umweht etwa die Objekte von Bettina Speckner: Sie macht Broschen mit Silbergravüren oder Ferrotypien. Karl Fritsch schichtet umwerfende Ringaufbauten aus vielfarbigen Edelsteinen auf. Tsukasa Kobayashi hat feinsäuberlich die Minen aus Buntstiften geschliffen und sie zu einer Batterie aus Ringen in allen Farbnuancen zusammengesetzt, die bei Tragen Farbspuren hinterlassen. Der meditative Schaffensprozess dauerte wesentlich länger als die Abnützung der Minen.

Gold und Diamanten mögen für die Ewigkeit gemacht sein: In dieser Schau werden solche Schmuck-Klischees geistreich, lustvoll und gekonnt auf den Kopf gestellt.

Roberta De Righi

Pinakothek der Moderne, bis 18. Mai, Di – So 10 bis 18, Do 10 bis 20 Uhr, Katalog 49.80 Euro

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