Überwältigend und seltsam

Das Orchester der Stadt unter Thielemann mit Brahms, Schreker und Mahler im Gasteig
von  Abendzeitung

Das Orchester der Stadt unter Thielemann mit Brahms, Schreker und Mahler im Gasteig

Brahms, ein satter Melancholiker? Am Donnerstagabend widerlegten die Münchner Philharmoniker unter Christian Thielemann mit einer unbändig fröhlichen Version des Allegretto giocoso der Vierten die landläufige Vorstellung vom Symphoniker mit dem Trauerrand.

Der Dirigent zog im dritten Satz der Vierten das Tempo an und brachte, die Extreme ausreizend, den Charakter des Satzes besser heraus als 99 frühere Aufführungen. Wer wollte, konnte einen fast manisch gezwungenen Jubel aus dieser Musik heraushören, der Chaconne-Finale von feierlichem Ernst abgelöst wurde. Wie in allen guten Thielemann-Aufführungen entstand die Musik unroutiniert gleichsam aus dem Augenblick. Der verhangene Ton im Andante moderato wurde ebenso gut getroffen wie das Drama des Kopfsatzes, das sich aus einer nicht ganz geheueren Lyrik zusammenballte.

Seltsame "Mitternacht"

Auch mit den verfließenden Farben des zwischen Debussys Impressionismus und Lehárs Kitsch schwelgendem „Nachtstück“ aus Franz Schrekers Oper „Der ferne Klang“ kamen Thielemann und die Philharmoniker bestens zurecht. Wer Brahmsens manisch-depressive Züge herausarbeiten kann, ohne die Musik zu übersteuern, müsste eigentlich ein geborener Mahler-Dirigent sein. Aber bereits die Wahl der Sängerin der meist mit einem Mezzo besetzten Rückert-Lieder überraschte.

Die Sopranistin Renée Fleming sang erlesen und stellte mit ihrem instrumentalen, leider wenig textverständlichen Zugriff recht überzeugend die Zeitgenossenschaft zu Richard Strauss heraus. Die stille Trauer von „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ gelang ihr überwältigend. Umso mehr irritierte, wie hurtig „Um Mitternacht“ angegangen wurde. Ist Thielemann das hehre Pathos dieses Lieds peinlich wie vielen Mahler-Apologeten? Den städtischen Generalmusikdirektor in Theodor W. Adornos Fußstapfen treten zu hören, verwunderte doch.

Robert Braunmüller

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