Überleben in der Diktatur: Zum Nobelpreis für Herta Müller

Der Literatur-Nobelpreis geht an die deutsche Autorin Herta Müller. In ihren Büchern beleuchtet die Schriftstellerin das harte Leben und den schweren Kampf der deutschen Minderheit in Rumänien. Im Sommer erschien der neueste Roman der 56-Jährigen.
von  Abendzeitung

STOCKHOLM - Der Literatur-Nobelpreis geht an die deutsche Autorin Herta Müller. In ihren Büchern beleuchtet die Schriftstellerin das harte Leben und den schweren Kampf der deutschen Minderheit in Rumänien. Im Sommer erschien der neueste Roman der 56-Jährigen.

Mit ihrer Mutter konnte sie nie über die Schrecken des Krieges und des stalinistischen Terrors reden. Vielleicht ist dies auch ein Grund, warum die 1953 in Nitzkydorf im Banat (Rumänien) geborene Herta Müller Erlebnisse von Fremdheit und politischer Verfolgung zu ihrem Lebenswerk machte.

Sie zeichne „mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit“, erklärte die Schwedische Akademie in bester Jurorensprache und ehrte Herta Müller mit dem Nobelpreis für Literatur (und rund 1,06 Millionen Euro).

Ihr literarisches Debüt „Niederungen“ über eine Kindheit in einem deutschen Dorf in Rumänien zwischen Ausgrenzung und Unterdrückung erschien 1982 in ihrer Heimat erst nach jahrelanger Prüfung und mit Eingriffen der Zensur. Als das Buch zwei Jahre später ungekürzt in Deutschland auf den Markt kam, erhielt Müller Publikationsverbot. 1987 siedelte sie nach Berlin über, wo sie noch heute wohnt.

Das Zwangsregime Ceausescus hatte Müller schon zuvor kennen gelernt. Nach ihrem Studium der rumänischen und deutschen Literaturgeschichte arbeitete sie als Übersetzerin in einer Fabrik und geriet in Konflikt mit dem rumänischen Geheimdienst Securitate, weil sie sich einer Zusammenarbeit verweigerte. In ihrem Roman „Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“ thematisiert sie die bleierne Zeit einer deutschen Familie in Rumänien, die auf die Ausreisegenehmigung wartet.

Dass die scheue, zurückhaltende Herta Müller nun schlagartig in den Fokus der Weltpresse gerät, sehen Bekannte von ihr fast mit ein bisschen Sorge. „Das Öffentliche entspricht so gar nicht ihrem Charakter“, sagt Hörbuch-Verleger Klaus Sander. Er hat aus langen Gesprächen mit Müller das Hörbuch „Die Nacht ist aus Tinte gemacht" collagiert, in dem sie über ihre Kindheit, die bäuerliche Arbeit der Banater Schwaben berichtet, aber auch über die Deportation der Mutter in ein stalinistisches Straflager, den Alkoholismus des Vaters und die Enteignung der Familie.

Mit Oskar Pastior, der als Rumäniendeutscher jahrelang in russischen Arbeitslagern interniert war, wollte sie gemeinsam ein Buch über dieses vergessene Kapitel der dunklen europäischen Geschichte schreiben. Doch dazu kam es nicht mehr. Büchner-Preisträger Pastior starb 2006, ist aber nun gewissermaßen Protagonist des Romans „Die Atemschaukel“ (Hanser), den Müller in diesem Sommer veröffentlichte.

Eigentlich galt sie mit diesem Buch bis gestern auch als Favoritin für den am kommenden Montag zu vergebenden Deutschen Buchpreis zum Auftakt der Frankfurter Messe. Dessen Jury steht nun vor einer unlösbaren Aufgabe: Soll der Preis Müller quasi „hinterhergeworfen“ werden, oder findet man den Mut, zu behaupten, es gäbe bessere Romane als den der Literatur-Nobelpreisträgerin?

Volker Isfort

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