Überirdisches im Keller

In Haidhausen liegen ein paar Quadratmeter Keller, die man in der ganzen Welt kennt: Der beste Jazz-Club der Welt. Seit 30 Jahren kultiviert die Unterfahrt Mut zum Experiment.
von  Abendzeitung

MÜNCHEN - In Haidhausen liegen ein paar Quadratmeter Keller, die man in der ganzen Welt kennt: Der beste Jazz-Club der Welt. Seit 30 Jahren kultiviert die Unterfahrt Mut zum Experiment.

In Haidhausen gibt es einen unterirdischen Raum, in dem täglich Jazz gespielt wird, oft überirdisch gut.Der Raum ist Teil des Kulturzentrums Einstein, heißt Unterfahrt und feiert jetzt als Club und „Förderkreis Jazz und Malerei e.V.“ den ganzen April über ein stolzes 30-jähriges Jubiläum. Seit die zunächst noch am Haidenauplatz gelegene Unterfahrt 1978 die Pforten öffnete, steht sie für eine neue Epoche im Jazzleben der Stadt. Mit überregional bekannten Clubs wie dem domicile oder dem Allotria, die heute längst Geschichte sind, war München lange Jahre ein Paradies für Fingerschnipper und Fußwipper; für Menschen, die genüsslich imMainstream planschten, für Traditionalisten, für Verfechter gewisser Reinheitslehren alles Swingenden. Wer dem Jazz aber zugetan war, weil der sich über viele Jahrzehnte immer wieder neu zu erfinden verstand, der wusste lange nicht, wo er einkehren sollte.

Für Musik, die frisch war, frech, wagemutig, unorthodox, experimentell, avantgardistisch gab es keine feste Anlaufstation. Die Unterfahrt hat diese Lücke geschlossen. In der Anfangszeit hatte man noch mit der Schärfung des inhaltlichen Profils zu kämpfen, doch bald wurden die Programmkonturen klarer. Heute präsentiert das Lokal, das auch Ausstellungsraum ist, fast die gesamte Bandbreite modernerer Jazz-Spielformen, geht über stilistische Grenzen hinaus, präsentiert lokale Jazz-Asse und weltbekannte Größen, stellt mit Unterstützung diverser Konsulate und Institute die Jazz-Szenen unserer europäischen Nachbarn ins Rampenlicht (im Jubiläumsmonat April schicken Spanien, die Niederlande, Norwegen, Frankreich, Finnland und Ungarn musikalische Abgesandte).

Selbst No-name-Konzerte sind gut besucht

Das Publikum nimmt den bunten Unterfahrt-Mix dankbar an. Es freut sich über etablierte Namen und lässt sich an die Hand nehmen, wenn es Unbekanntes zu entdecken gilt. Selbst No-name-Konzerte sind gut besucht und das trotz eines immer stärker zunehmenden Jazzangebots in der Stadt. „Immer wieder hören wir von unseren Künstlern, dass unsere Zuhörer etwas Besonderes sind“, strahlt Michael Stückl, der 1. Vorsitzende des „Förderkreis Jazz und Malerei e.V.“ „Die norwegische Sängerin Silje Nergaard sagte mir kürzlich, dass es nirgendwo sonst ein so aufmerksames Publikum gibt.“ Das freut auch die Amerikaner, die in den Clubs ihrerHeimat oft gegen lästiges Dauergeplapper anspielen müssen.

Für den New Yorker Schlagzeuger Bobby Previte ist die Unterfahrt aber nicht nur deshalb der beste Jazzclub der Welt. „Musiker wie Bobby Previte, aber auch Tim Berne oder Hank Roberts sind mit uns zusammen groß geworden. So etwas prägt“, sagt Christiane Böhnke-Geisse, die seit vielen Jahren mit ihrer Programmgestaltung ein goldenes Händchen beweist. „Wir sind mit vielen Musikern, als sie noch nicht so bekannt waren, ein Risiko eingegangen. Wenn sie heute hier spielen, erinnern sie sich an frühere Zeiten. Der französische Gitarrist Marc Ducret hat sich neulich von der Bühne herunter dafür bedankt, dass wir ihn und seine Karriere über die letzten 20 Jahre begleitet haben.“

Ssirus W. Pakzad

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