"Udo Jürgens war ein Gejagter"

"Merci, Udo", Paul Sahner erinnert sich in seinem neuen Buch an einen Künstler, den er 45 Jahre lang kannte
von  Volker Isfort

"Merci, Udo!", Paul Sahner erinnert sich in seinem neuen Buch an einen Künstler, den er 45 Jahre lang kannte

Udo Jürgens und Paul Sahner waren fast ein halbes Jahrhundert Weggefährten. Der Sänger und Entertainer führte viele Gespräche mit dem „Bunte“-Reporter, kein Themenkomplex, ob Sex, Tod oder Religion, blieb dabei ausgespart. Jürgens starb am 21. Dezember im Alter von 80 Jahren überraschend an einem Herzinfarkt. Bereits einen Tag später begann Sahner die Arbeiten für das Buch „Merci, Udo!“, das nun erschienen ist. Es enthält neben Gesprächen mit Jürgens-Weggefährten auch alte Interviews mit dem Künstler, die damals für etlichen Wirbel sorgten.

AZ: Herr Sahner, Ihr Buch erscheint genau einen Monat nach dem Tod von Udo Jürgens.

PAUL SAHNER: Ja, es ist ein Schnellschuss, aber es war mir ein Bedürfnis. Und dann wurde ich von Herrn Herder und Herrn Beierlein auch dazu animiert. Ich habe sehr viel herumtelefoniert mit Menschen, die Udo Jürgens sehr nahe standen. Und fast alle haben bereitwillig mitgemacht. Die einzige, die ich nicht erreichen konnte, weil ihr Management sich quer gestellt hat, war Helene Fischer. Das fand ich unpassend.

Zumal Frau Fischer zuletzt von Udo Jürgens profitiert hat, durch die Duette mit ihm in der Gala zu seinem 80. Geburtstag und in ihrer eigenen Show.

Ganz genau.

Frau Fischer wird diesen Sommer das Olympiastadion füllen. Das hat Udo Jürgens nie geschafft.

Sie ist durchaus eine talentierte, junge Frau, die erfrischend rüberkommt. Das ist sicherlich alles sehr beachtlich, aber sie ist doch meilenweit davon entfernt, so etwas wie die Nachfolgerin von Udo Jürgens werden zu können.

Weil Ihre Lieder zu belanglos sind?

Das ist ja eher Tralala. Ich möchte aber Ihren Platz an der Sonne jetzt gar nicht schmälern, den hat sie sich schon verdient.

Sie kannten Udo Jürgens 45 Jahre lang, was war denn die schärfste Auseinandersetzung zwischen Journalisten und Künstler?

Es gab spannungsgeladene Zeiten zwischen uns, weil er immer irritiert war, dass ich einen sehr guten Kontakt zu seiner Ex-Frau Corinna hielt, die ja eine Affäre mit Ronald Schill hatte. Udo Jürgens war immer der Ansicht, dass nur er über sein Leben und Liebesleben Auskunft zu geben habe. Damals musste ich ihm die alte Journalistenregel „Audiatur et altera pars“ (Man höre auch die Gegenseite) beibringen. Das hat er dann auch akzeptiert. Aber für seine Unantastbarkeit war es eine schwere Niederlage, dass seine Frau ihn ausgerechnet mit so einem Macho wie dem Schill betrogen hatte. Udo hat mir gesagt: „Wenn es doch wenigsten Joschka Fischer gewesen wäre.“

Darf man sich Udo Jürgens, abgesehen von dieser Episode, als einen glücklichen Menschen vorstellen?

Je älter er wurde, desto gelassener wurde er. Auch, weil er sich nach dem Erfolg seines Buches „Der Mann mit den Fagott“ endlich angekommen fühlte in der Hochkultur. Udo Jürgens war unter den Blinden nicht der Einäugige, sondern der Seher. Aber er lechzte nach Anerkennung des deutschen Intellekts. Die späten Weihen durch Joachim Kaiser und Frank Schirrmacher waren für ihn eminent wichtig. Das war sein persönlicher siebter Himmel, das war mehr als ein Ritterschlag, das war eine kleine Heiligsprechung.

Aber in seinen jungen Jahren war er ein Getriebener?

Durchaus. Udo hatte eben zwei Leidenschaften, die Bühne und die Frauen, beides hat er wirklich bis zur Neige ausgekostet. Und er hatte zunächst mit Hans R. Beierlein und später mit Freddy Burger zwei Haifischexemplare dieser Musikantenbranche als Manager, die ihn immer getrieben haben. Manchmal hatte ich den Eindruck, er hätte besser etwas kürzer treten sollen. Aber er hat mir auch immer versichert, er wolle diesen Tour-Stress schließlich auch selber. Udo war ein Zirkuselefant, der nur glücklich war, wenn er seine Runden drehen konnte und den Applaus bekam.

Und die Liebe der Frauen.

Ich habe Anfang der 70er Jahre acht Monate für ihn gearbeitet und mitbekommen, was für ein Andrang auf seiner Tournee herrschte. Die Frauen, die schon damals seine Töchter hätten sein können, standen Schlange vor der Künstlergarderobe. Er konnte sich bedienen und er hat sich gerne bedient. Er war ja nicht der Jäger, er war der Gejagte.

Sie schreiben, dass Sie seine Musik nicht sonderlich mochten?

Wir haben uns oft darüber unterhalten. Ich habe ihm gesagt: „Ich finde Dich unglaublich professionell, Du bist ein fantastischer Entertainer und es ist toll, wie Du Dein Publikum im Griff hast, aber meine Musik ist eine andere.“ Ich persönlich höre dann doch lieber Pink Floyd oder Lou Reed. Der Tod von Joe Cocker hat mich als Musikfan stärker betroffen. Aber natürlich mag ich viele Lieder von Udo Jürgens. Ich finde nur, er hätte ruhig noch mehr sozialkritische Lieder machen können, stärker in diese Richtung gehen können.

Die Gala zu seinem 80. Geburtstag und die anschließende, ausverkaufte Tournee haben es ja gezeigt: Udo Jürgens schien so beliebt zu sein wie nie zuvor.

Absolut. Das ist ja auch das Tragische an seinem Tod, dass er wirklich „Mitten im Leben“, wie seine Tournee hieß, aus dem Leben gerissen wurde. Im Grunde genommen hat er den schönsten Tod überhaupt gehabt, kurz und schmerzlos. Vielleicht wäre es – auch wenn es jetzt makaber klingen mag – passender für ihn gewesen, auf der Bühne während eines Konzerts Abschied zu nehmen. Mick Jagger hat mir auch mal gesagt, am liebsten würde er noch mit dem Rollstuhl auf die Bühne fahren und dann solle es halt irgendwann klack machen.

Udo Jürgens war ein Superstar – aber hauptsächlich im deutschsprachigen Raum.

Das hat an ihm genagt. Er sprach immer wieder davon. Schon als er noch in Schwabinger Jazzkneipen spielte, träumte er von einer Musikkarriere in New York. Auch Jahrzehnte später hat er noch mit dem Gedanken gespielt, mal für längere Zeit dorthin zu gehen. Wäre er in Amerika geboren worden, wäre er vermutlich ein Weltstar geworden. Da war er sich sicher. Er sah sich durchaus in den Dimensionen von Frank Sinatra oder Sammy Davis, Jr., für den er ja auch einen Song geschrieben hatte. Für Udo ist es die künstlerische Tragödie seines Lebens gewesen, dass er als auf Deutsch singender Künstler auf dem Weltmarkt nicht die ganz große Rolle spielen konnte. Seine Selbstzweifel, die er auch hatte, resultierten auch daher.

Trost in der Religion hat Udo Jürgens ja nicht gesucht.

Überhaupt nicht, er war der konsequenteste Atheist, den ich je kennen gelernt habe. Bewundernswert fand ich daher, dass er seiner Wiener Tochter Gloria zuliebe zu ihrer Erstkommunion gegangen ist. Es gab für Udo auch kein göttliches Prinzip. Man wird geboren und man stirbt. Das Leben dazwischen hat er in vollen Zügen genossen, weil er um seine Endlichkeit wusste. Aber er hat es auch oft bedauert, dass er Frauen weh getan hat, vor allem jenen, die lange an seiner Seite waren wie seine beiden Ehefrauen.

Paul Sahner: „Merci, Udo!“ (Herder Verlag, 174 Seiten, 16,99 Euro)

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