Triumph der Verlierer

Und noch ein Loser: Heinz Strunk kommt mit „Fleisch ist mein Gemüse“ ins Kino, der Verfilmung seines Kultbuchs.
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Und noch ein Loser: Heinz Strunk kommt mit „Fleisch ist mein Gemüse“ ins Kino, der Verfilmung seines Kultbuchs.

Wer zwölf Jahre lang durch die norddeutsche Provinz tingelt, auf Hochzeiten und Schützenfesten als Saxofonist einer Tanzkappelle Schlager spielt, das besoffene Bürgertum stets vor Augen – der kennt das Gesicht der Niederlage in all ihren Formen. Und nicht nur das: Wenn Heinz Strunk als junger Mann in den Spiegel schaute, sah ihm ein Kraterfeld rotglühender Pickel entgegen. So sah das damals in den späten Achtzigern, frühen Neunzigern aus. Heute trägt Strunks Gesicht auf der Leinwand Narben und der Mann, der eigentlich Mathias Halfpape heißt, ist schon längst auf die Erfolgsseite gewechselt: Am Donnerstag öffnet sich in den deutschen Kinos der Vorhang für „Fleisch ist mein Gemüse“, Christian Görlitz’ Verfilmung von Strunks stark autobiografisch gefärbtem Debüt.

Über 250 000 Mal hat der Roman sich verkauft. Ein Kultbuch, von einem Autor, der jetzt zu den erfolgreichsten Humoristen der Republik zählt, die Komikertruppe „Studio Braun“ mitbegründete, eine eigene VIVA-Show sowie die „Jürgen-Dose-Show“ im Radio moderierte und zuletzt vom SatireMagazin „Titanic“ auf Pseudo-Wahlkampf durch Hamburger Lokale geschickt wurde.

Mit „Fleisch ist mein Gemüse“ verklärt Strunk die leidvolle Vergangenheit zur Loser-Ballade mit hohem Identifikationspotenzial: Wer kennt nicht das Gefühl, dass die Lebensfahrt gen Mittelmäßigkeit führt – oder ist man dort längst angekommen? Der Buchmarkt wimmelt von diesen Pappenheimern, die sich auch fürs Kino eignen: junge Männer, die es sich in einem oft faden Job eingerichtet haben und dann privat sowie beruflich ins Straucheln geraten. In Benjamin von Stuckrad-Barres „Soloalbum“ wird der Held von der Freundin per Fax – in der Verfilmung mit Matthias Schweighöfer ist es eine SMS – über das Ende der Beziehung informiert, danach schlittert er ins Single-Dasein. Handy-Verkäufer Simon ist gar der titelgebende „Vollidiot“ in Tommy Jauds Roman von 2004, in der Verfilmung kongenial verkörpert von Oliver Pocher, der ja schon immer zum inneren Proll und dessen peinlichen Anmachversuchen stand.

Die Seelenruhe gerät meist um die magische 30er-Marke aus dem Gleis, auch bei Herrn Lehmann, dessen Lebensjubiläum mit dem Mauerfall zusammenfällt. Die deutsche Geschichte nimmt eine Wende, Christian Ulmen als Kneipier Lehmann latscht mit Hund in eine ungewisse Zukunft. Die Frauen enttäuschen, die gute alte Männerfreundschaft erscheint als letzter Anker, und so blickt Herr Lehmann mit seinen Kameraden tief ins Glas und in die Stammtischphilosophie. Romantiker sind sie, oft mit überraschend bürgerlicher Erdung: Wenn Lehmann oder Simon die Frau ihres Lebens erblicken, erscheint sie in der Fantasie im Hochzeitskleid. Doch sie will nicht so, wie sie wollen, vielleicht, weil der Single allzu unentschlossen zwischen Freiheitsdrang und Sehnsucht nach Bindung schwankt. Die Glückssucher wirken dabei oft wie Kopien englischer Originale, wobei der Mann, der sich für eine Insel hält, sicherlich nicht von Nick Hornby erfunden wurde.

Die Beziehungskurve bekommen die Taugenichtse selten, aber am beliebtesten sind eh’ jene, die für sich bleiben. Strunk, der im Film als Erzähler die Vergangenheit Revue passieren lässt, trinkt zum Finale verlassen ein Bierchen. Was beruhigend ist, sagt das doch dem chronisch Einsamen: Du bist nicht alleine. Michael Stadler

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