Trash statt Tradition
Adel verpflichtet? Offenbar nicht (mehr), denn vier noble Singles zwischen 37 und 47 lassen sich vor den Augen von Millionen TV-Voyeuren verkuppeln. Warum die Blaublütler im Fernsehen auf Brautschau gehen.
Mit Verlaub – macht sich jetzt der Adel zum Affen? Nach „Deutschland sucht den Superstar“ und „Bauer sucht Frau“ heißt’s ab Sonntag „Gräfin gesucht“. Nicht beim Fünf-Uhr-Tee in einem Schloss-Salon, sondern kurz vor der Primetime bei Sat1.
Vier noble Singles zwischen 37 und 47 fühlen sich dem Adel offenbar nicht mehr verpflichtet – pfeifen auf Standesdünkel sowie mediale Berührungsängste, und lassen sich vor den Augen von Millionen TV-Voyeuren verkuppeln.
Die Bürgerstochter aus dem Zuschauer-Volk
Ihre Königin der Herzen ist keine Lady Di von heute, sondern eine Bürgerstochter aus dem Zuschauer-Volk. Trash statt Tradition – davon erhofft sich der Sender acht Folgen lang den dringend benötigten Quoten-Hit. Unter Hunderten von Bewerberinnen hat jeder der vier seine fünf Favoritinnen gekürt, checkt sie nun auf Sexappeal, Herz, Konversation und Benimm, und lässt sie gegeneinander antreten – zum Beispiel beim Stallausmisten.
„Unterschiedliche Lebenswelten miteinander zu konfrontieren, das klappte schon bei ,Big Brother’“, sagt der Sozial- und Medienwissenschaftler Thomas Knieper von der TU Braunschweig. Jetzt gehe Sat1 einen Schritt weiter, entwickle ein Aschenputtel- und Pretty-Woman-Prinzip: „Wie ist es von einem Adligen auserwählt zu werden, in eine Welt zu kommen, in die man sonst nie käme?“ Dating-Show plus Telenovela. Ein Mix, der gerade bei Frauen funktionieren müsse, glaubt Knieper: „Für sie ist die Projektionsfläche besonders groß. Sie können mitschmachten und mittippen, wer wen kriegt.“
Je peinlicher die Show, umso höher die Quoten
Ansonsten gilt: je peinlicher die Show, umso höher die Quoten, wie zuletzt beim „Dschungel-Camp“. Daheim, vom Sofa aus, schaut man zu, wie sich andere exhibitionieren, wie weit sie gehen. Das führt manchmal zu Solidarität, oft zu Schadenfreude. Und ab Sonntag auf den Herrensitzen wohl zu schmallippiger Missbilligung. Aber selbst, wenn der eine oder andere Kronleuchter wackeln sollte, die vier Sat1-Standesgenossen sind schmerzfrei.
„Ich suche eine Frau mit Sonne im Herzen und richtig Feuer im Arsch“, tönt der bayerische Kandidat Michael von Miller (42) vorab im Internet. Und, dass er gern „ein paar Bierchen“ mit ihr trinken möchte. „Das ist nicht adelsgemäß“, sagt Thomas Knieper. „Diese Anbiederung ist ein bewusster Image-Bruch, der für Aufregung sorgen soll. Fernsehen ist nun mal ein Showgeschäft, da wird nichts dem Zufall überlassen.“
„Ich verstelle mich nicht“
„Ich verstelle mich nicht“, sagt der lebenslustige Tegernseer – ein Nachfahre des Erzgießer Ferdinand von Miller, der die „Bavaria“ kreiert hat, – zur AZ (siehe auch Interview). „Ich bin in der Show so wie im Leben.“ Da verkauft er in seiner Galerie im Münchner Lehel afrikanische Stammeskunst und am Wochenende relaxt er auf dem Familiensitz in Bad Wiessee, „ein paar Schritte durch Tantchens Garten“ entfernt vom See.
Ob er in der Dating-Show den Treibauf gibt – eine Art Zlatko oder Daniel Küblböck de luxe, wird sich zeigen. Sicher ist, so Adelskenner und Autor Jürgen Worlitz: „Keiner der vier wird enterbt.“
Das passierte bei uns noch Ende der 90er, wenn Prinzen unter ihrem Stand geheiratet haben. Jetzt, wo Adelige „Foffi“ oder „der geile Depp“ heißen und Bürgerliche wie Maxima oder Mette-Marit einmal Königin werden, scheinen die Regeln etwas gelockert. Nur extrem konservative Blaublütler, so Worlitz, „werden sich hinter vorgehaltener Hand mokieren, dass sich Ihresgleichen auf diese Fleischbeschau einlässt.“
Drei Gründe, sich vorführen zu lassen
Warum sich die ledigen Herren so vorführen lassen, das hat drei Gründe, sind sich alle von der AZ befragten Experten einig: Ihnen geht’s um den Spaß-Faktor, die mediale Beachtung und das Geld.
80 000 bis 160 000 Euro kassieren die vier angeblich. Genug um, „das Dach zu decken“, soll Moritz Graf zu Reventlow, Besitzer eines 600-Hektar-Guts bei Kiel, gesagt haben. Er sucht eine 25- bis 37-Jährige mit „Persönlichkeit und gefestigtem Charakter“. Und der geschiedene Unternehmer Constantin von zur Mühlen (44) aus Hamburg eine Partnerin, die „genauso aktiv und lebensfroh“ ist wie er. Ähnlich tickt Betriebswirt Benedikt von Hobe (47) aus Düttebüll in Schleswig-Holstein. „Kreativ und lebenslustig“ soll die künftige Gutsherrin sein. „Ansatzweise sportlich wäre nicht schlecht.“
Ansatzweise stimmt auch nur der Titel „Gräfin gesucht“. Unter den Hagestolzen ist nur ein Graf. Ob’s bei ihm und den anderen zum Äußersten kommt, bezweifelt Adels-Intimus Worlitz: „Letztlich prostituieren sich die Mädels. So eine kann selbst in Foffi-Zeiten keine Gräfin werden. Da keift dann doch die Schwiegermutter.“
Renate Schramm