Träume braucht der Mensch
Zum 30. Geburtstag von Michael Endes Kultbuch „Die unendliche Geschichte“ hat der Münchner Komponist Wilfried Hiller eine Bühnenmusik geschrieben, die in Garmisch uraufgeführt wird
Düstere Wälder voller unheimlicher Gestalten, unendliche Wüsten-Weiten, seltsame Gnome und Nachtalben: Was sich anhört wie Harry Potter oder die „Twilight“-Reihe, hat schon vor Jahren einer aufgeschrieben: Michael Endes Fantasie-Bücher begeistern noch immer Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf der ganzen Welt.
In diesem Jahr hätte der 1995 gestorbene Schriftsteller seinen 80. Geburtstag gefeiert. Und die „Unendliche Geschichte“ wird heuer 30 Jahre alt. All das wird seinem Geburtsort gebührend gefeiert: Am 22. August wird eine neue Bühnenversion des Kultbuchs in der Garmischer Werdenfels-Aula uraufgeführt.
Japanische Trommel
Die Bühnenmusik stammt von Wilfried Hiller, einem langjährigen Freund Endes. Gespielt wird sie von den Münchner HipHoppern Einshoch6, die der Komponistensohn und Schlagzeuger Carl Amadeus mitbegründete. Hiller legt auf der griechischen Insel Fourni gerade letzte Hand an die Musik. In ihr spielt die japanische Trommel Odaiko eine gewichtige Rolle, weil Ende zeitlebens vom No- und Kabukitheater fasziniert war. „Sie morst unter anderem das Wort ,Tu, was du willst’ des Heiligen Augustinus, mit dem Ende den Geburts- und Todestag gemeinsam hat.“
Hiller erlebte die Entstehung der „Unendlichen Geschichte“ hautnah mit. „Er hat mir erzählt, dass er im Moment keine Texte für mich schreiben könne, weil er in einem Buch steckte, aus dem er nicht herauskam“, erinnert sich der Komponist, für den Ende die Texte zu den Erfolgs-Opern „Der Goggolori“, „Das Traumfresserchen“ und „Die Jagd nach dem Schlarg“ schrieb. „Er las einzelne Kapitel vor. Er kam gar nicht mehr heraus. Er liebte das Erzählen, aber er liebte auch den Kontakt mit anderen. Er war nicht einer, der zu Hause am Schreibtisch hockte und am Bleistift nagte. Er brauchte wirklich den Kontakt.“
Ein Romantiker
Vor allem die Träume seien Endes Welt gewesen. „Träume sind das, was sich durch sein Werk zieht. Dass der Mensch Träume braucht, dass er ohne Träume nicht leben kann.“ Ende selber habe davon geträumt, die Bilder seines Vaters in Sprache umzusetzen. Gleichzeitig aber sei er bei der Arbeit sehr professionell gewesen. „Er war so unkompliziert. Wenn ich ihn mal anrief, schrieb er mir in der Sekunde einen Reim in die Melodie.“
Er sei ein Nachfahre der deutschen Romantiker, hatte Ende sich einmal selber in einem Interview beschrieben. Novalis war sein großer Lehrmeister. Wie viele fantastische Gestalten und Welten seinen Lesern vorenthalten blieben, als Ende mit 65 Jahren an Magenkrebs starb, wird die reale Welt nicht mehr erfahren. Sein Freund Hiller vermutet, dass es viele sind: „Michael sprudelte bis zuletzt, bis zu seinem Tod. Er ist viel zu früh gestorben.“
Opium für Kinder?
Mit „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ fing alles an, in den 1950er Jahren. Mehr als zehn Verlage hatten die fantastische Reise-Geschichte des kleinen Jim abgelehnt – nach seinem Erscheinen 1960 wurde sie zum Verkaufserfolg, in 20 Sprachen übersetzt und brachte Ende den Durchbruch.
Ende zog mit seiner Frau nach Italien, nicht zuletzt deshalb, um vor den Kritikern zu fliehen, die seine Traumliteratur „Weltflucht“ und „Unterhaltungs-Opium“ nannten. 1973 folgte der zweite große Erfolg mit „Momo“, Untertitel: „die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte“. 1979 war es dann soweit. „Die unendliche Geschichte“ kam heraus – bis heute ein Kultbuch vor allem bei Erwachsenen, das nun vielleicht als Bühnenversion Jung und Alt nach Garmisch lockt.
Britte Gürke/RBR
Garmisch, Aula Werdenfels, 22., 27., 30. 8., 4., 13., 20. und 26. 9. Karten: Tel. 54 81 81 81