Tränen in der Mainacht

Umjubelter Liederabend im Nationaltheater:Anja Harteros singt sich mit Schokoladen-Sopran durchs deutsche Repertoire – und wird dabei sensibel von Wolfram Rieger am Flügel begleitet
von  Abendzeitung

Umjubelter Liederabend im Nationaltheater:Anja Harteros singt sich mit Schokoladen-Sopran durchs deutsche Repertoire – und wird dabei sensibel von Wolfram Rieger am Flügel begleitet

In irgendeinem früheren Leben war Anja Harteros sicher an einem Tempel beschäftigt. Im alten Griechenland natürlich. Und wenn nicht als Priesterin, so doch – das ist die wahrscheinlichere Variante – als Karyatid-Figur. Also in gebälktragender Funktion. Schon optisch erinnert die sympathische Sängerin an diese äußerst zuverlässigen Damen antiker Baukunst. In ihrem schlichtschwarzen Kleid mit dem Blumeneinsatz und den schweren dunklen, nach hinten gebundenen Locken.

Bei Anja Harteros muss man nie fürchten, sie könnte einen Ton nicht treffen, selbst in beträchtlichen Höhen. Und immer kann sie ihren warm grundierten Schokoladen-Sopran mit dieser Spur kühlen Minzöls wie aus dem Nichts hochfahren lassen, um ihn elegant wieder ins zarteste Pianissimo zu führen. Das macht nicht nur ihre Arabella zum seltenen Delectare. Die Mimì. Und erst recht die Elsa.

Betörender Brahms

Aber Schubert ist weder Strauss noch Puccini noch Wagner. Und da musste man nicht nur am Anfang ihres durchweg ernsten Recitals die donnernde Größe Jehovas („Die Allmacht“) fürchten. Sicher, das bis zur Galerie gefüllte Nationaltheater will durchdrungen sein. Aber die Harteros müsste sich keinerlei Gedanken machen, ihre ungemein kultivierte Stimme trägt noch in des traumversunkenen „Meeres Stille“.

Für die zwischen den Zeilen durchblitzende Zerrissenheit Hugo Wolfs findet die 37-Jährige dann fast zu schöne Töne, um schließlich bei Johannes Brahms richtig zu liegen. In der „Liebestreu“ und im von Wolfram Rieger mit feinstem Tastentüll umwirkten „Tod, das ist die kühle Nacht“. Oder im sagenhaften Crescendo der „einsamen Träne“, die durch die „Mainacht“ rinnt.

Auch Richard Strauss geht ihr gut durch die Kehle: der „Morgen“, die „Zueignung“. Nur fehlt dieses helle, weltzugewandte Moussieren, das bei Strauss noch die tiefste Melancholie umschillert. Da müsste die Karyatide doch ein bisschen bröckeln.

Christa Sigg

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