Tori Amos im Circus Krone: „Abnormally Attracted To Sin“
„Abnormally Attracted To Sin“ heißt das neue Album von Tori Amos, sie lässt sich von der Sünde anziehen und ist sündhaft angezogen im Cirkus Krone. Rote Haare fließen über engelweißes Kleid Gott - steh uns bei.
Wenn die Sünde von Männern erfunden wurde, muss man sie auch begehen, wieder und wieder, denn nicht die Grenzüberschreitung ist das Übel, sondern die willkürliche Schuldzuweisung der Überväter. „Abnormally Attracted To Sin“ heißt das neue Album von Tori Amos, sie lässt sich von der Sünde anziehen und ist sündhaft angezogen im Cirkus Krone. Rote Haare fließen über engelweißes Kleid, Amos, die Pfarrerstochter, mit dem Rücken zum Publikum, die Hände ausgestreckt, so dass der an den Ärmeln angenähte schwarze Stoff sich ausbreitet wie die dunklen Flügel einer lockenden Erlöserin. Gott, steh uns bei.
Mit dem schleppend-epischen Opener ihres „Sin“-Albums, „Give“, startet sie, doch Amos schert sich wenig um den Sensationswert des Neuen: Drei Stücke stammen aus dem aktuellen Werk, ansonsten blickt sie zurück in ihre Geschichte, in der Sex, Schuld und Sühne schon immer zwickten. Bald legt sie sich in ihren wohl größten Hit, „Cornflake Girl“, so hat man sie auch genannt. Dabei zählt sie sich zu den Rosinen-Mädchen und versalzt die poppige Süße mit Versen über die mangelnde Solidarität unter Frauen. Der Amos-Sound lässt sich weiterhin schwer kategorisieren, liegt zwischen Alternative Rock, Folk und Pop, die Anmutung ist dabei mit den Jahren schwärzer geworden. Mit düster dräuenden Songs wie „Pancake“ reitet Amos auf der Dark Wave, das Goth-Girl mit den roten Haaren. Zwischen Bösendorfer und Keyboards eingespannt, spreizt sie sich zwischen die Genres, dehnt wundersam die Vokale, unterstützt von ihren tadellosen Gefährten, Drummer Matt Chamberlain und Bassist Jon Evans. Eine überdrehte Lichtshow soll dazu optisch Zunder geben, als ob die Aura des Stars nicht ausreichen würde. Zwischendurch lädt Amos zum intimen Moment, sie allein mit ihrem Bösendorfer, „Baker Baker“ und „Silent All These Years“ als betörend schöne Echos alter verzweifelter Tage.
Zuletzt stürmen die Fans nach vorne und feiern ihre Ü30-Party, weil Amos alle Leinen los lässt, Evans knallharte Saiten aufzieht und Chamberlain sein Schlagwerk ohne Reue verprügelt. Amos animiert zum Klatschen, „I’ve been a miner for a heart of gold“, so sang das zuerst Neil Young. Und im Laufe eines mitunter langweiligen Abends konnte man sich doch versichern, dass Amos im Bergwerk ihrer Sünden schon zahlreiche Glanzstücke ausgegraben hat.
Michael Stadler
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