Kritik

Topware aus dem Höhlenatelier: Kunst der Eiszeit

Die erste Sonderschau der generalsanierten Archäologischen Staatssammlung zeigt rund 40 000 Jahre alte Kunst
von  Christa Sigg
Ein Mammut aus Elfenbein, gefunden im Geißenklösterle bei Blaubeuren
Ein Mammut aus Elfenbein, gefunden im Geißenklösterle bei Blaubeuren © Landesmuseum Württemberg, Hendrik Zwietasch

Der Höhlenbär ist ein echtes Show-Talent. Dem aufgekratzten Kerl fehlen zwar Unterschenkel und Arme, wahrscheinlich waren die Ausfallschritte doch zu gewagt, aber die Absicht ist eindeutig: Sein hochgereckter Kopf verrät den Ur-Balu, der einem imaginären Ur-Mogli zeigt, wie man tanzend durchs Leben kommt. Die Schwäbische Alb mag klimatisch zwar etwas rauer sein als der Dschungel, aber "mit Gemütlichkeit" war man immer schon gut bedient - auch vor 40 000 Jahren.

Vielleicht war der Schnitzer, der die Bärenreplik mit all ihren Ergänzungen geschaffen hat, besonders fantasievoll. Oder Walt Disneys Zeichentrickfilm stand im Unterbewusstsein Pate. Doch die Künstler und wohl auch Künstlerinnen der Eiszeit konnten schon was, sogar einen gewissen Witz darf man ihnen zutrauen, überhaupt etwas Spielerisches, das wäre nur zu menschlich. Vor allem aber hatten sie ein untrügliches Gespür für gute Formen. Für das Markante, also die wenigen Merkmale, die eine Elfenbeinschnitzerei sofort als Frau erkennen lassen, als Pferd oder eben als Bären. Das ist jetzt in der ersten Wechselschau der im April wieder eröffneten Archäologischen Staatssammlung München schön zu verfolgen.

Balu von der Schwäbischen Alb

Im Souterrain geht es um die "Figürliche Eiszeitkunst Europas". Das ist zugleich auch eine Premiere für den neuen Sonderausstellungssaal. Nieto Sobejano Arquitectos durften sich hier unten quasi ausleben, während sie sich bei der Generalsanierung des 70er-Jahre-Baus respektvoll an die Pläne Helmut von Werz' gehalten haben. Auf einer Fläche von 600 Quadratmetern bietet diese schlichte Blackbox alles, was man heute technisch so braucht, und sie kann in verschiedene Größen unterteilt werden kann.

Eine Rippe mit eingeritzten stilisierten Frauenfiguren beim Tanz, entstanden um  15.000 vor Christus.
Eine Rippe mit eingeritzten stilisierten Frauenfiguren beim Tanz, entstanden um 15.000 vor Christus. © Landesmuseum Württemberg, Hendrik Zwietasch

Manche Objekte sind so winzig, dass man eine Lupe braucht

Aktuell wird etwa die Hälfte bespielt, mehr ließe die kleinen Eiszeit-Objekte verloren wirken. Wir befinden uns im Bereich von wenigen Zentimetern, manches ist sogar so winzig, dass es unter einer Lupe präsentiert wird. Man darf die Skulpturen übrigens anfassen, richtig drübersteicheln, das ist im Museum normalerweise ein Tabu. Allerdings sind hier auch Repliken ausgestellt.

Das betrifft nicht nur die ergänzten Versionen, die außerdem einen Eindruck von der ursprünglichen Oberfläche geben sollen, sondern genauso den berühmten Löwenkopf aus der Vogelherdhöhle im Lonetal oder die eingangs erwähnte Bärenstatuette aus dem Geißenklösterle. Das ist eine Halbhöhle bei Blaubeuren.

Ein mindestens 35.000 Jahre altes Löwenköpfchen aus Elfenbein, gefunden in der Vogelherdhöhle auf der östlichen Schwäbischen Alb.
Ein mindestens 35.000 Jahre altes Löwenköpfchen aus Elfenbein, gefunden in der Vogelherdhöhle auf der östlichen Schwäbischen Alb. © Landesmuseum Württemberg, Hendrik Zwietasch

In diesen beiden Fällen befinden sich die Originale im Landesmuseum Württemberg. Das hat den inklusiven Teil zur Wanderausstellung der Ulmer Arbeitsgemeinschaft Weltkultursprung beigesteuert. Im Ländle, das heißt, auf der Schwäbischen Alb gibt es halt viele Höhlen und damit auch diese großartigen Kunst-Funde. Seit 2017 zählt das zum Unesco-Weltkulturerbe.

Neues Altes auch aus dem Donau-Ries

Das Nördlinger Ries schließt da gleich an, deshalb kann das Münchner Auswärtsspiel der Württemberger mit Objekten aus dem Freistaat komplettiert werden. Auch die in Kopie. Die Originale sind oben in der neuen Dauerausstellung zu bewundern wie etwa eine rund 15 000 Jahre alte Steinplatte aus Ederheim nahe Nördlingen mit eingekerbter weiblicher Gestalt und einem Wildpferd.

Man muss freilich lange hinsehen, um das zu erkennen. Auch bei der „Roten von Mauern“ aus dem Landkreis Eichstätt. Das ist ein tolles knubbeliges Kalkstein-Figürchen aus der Jüngeren Altsteinzeit (um 23 000 vor Christus), rot bemalt, daher der Name, und je nach Perspektive ein weiblicher Körper mit ausladendem Hintern und kurzen Beinchen – oder ein Penis. Dann werden aus dem Gesäß die dazugehörigen Hoden. Und wer weiß, ob das nicht gerade in einer Doppelfunktion gedacht war.

Man zog dem Großwild hinterher

Es bleibt schwierig, diese oft verblüffend kunstvollen Objekte einzuordnen. Man ist immer schnell beim Kult, wenn man freilich sieht, wie viele Eiszeit-Flöten mittlerweile entdeckt wurden, liegt manchmal der sehr menschliche Drang, sich zu vergnügen und sich auszudrücken, etwas näher. Man zog dem Großwild hinterher und hat es in kleinen Statuetten abgebildet: Mammuts, Bären, Pferde, was man eben kannte oder sah. Und zur eigenen Verortung noch sich selbst.

Interessanterweise kann man die stilistischen Veränderungen besonders an den Frauen festmachen. Aus den relativ präzisen Darstellungen mit üppigsten Brüsten und erheblichem Bauch – von Bodyshaming keine Spur – werden irgendwann Hungerhaken. Also Andeutungen wie die mit wenigen Strichen auf eine Rentierrippe geritzten Tänzerinnen, die man in der Petershöhle bei Konstanz gefunden hat. Wobei wir jetzt wieder beim Vergnügen sind.

"Urformen - Eiszeitkunst begreifen" bis 21. April, Archäologische Staatssammlung, Lerchenfeldstraße 2, Di/Mi/Fr/Sa 10 bis 17, Do/So bis 19 Uhr

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