Tom und Jerry-Spiel im WM-Siegesrausch

Die wilde Jagd geht über Stock und Stein, durch tiefe Canyons und über hohe Berge. Der phänomenale Cellist Alban Gerhardt und die Philharmoniker im Gasteig
von  Abendzeitung

Die wilde Jagd geht über Stock und Stein, durch tiefe Canyons und über hohe Berge. Der phänomenale Cellist Alban Gerhardt und die Philharmoniker im Gasteig

80 schwerst bewaffnete Orchestersmusiker verfolgen in Sergej Prokofjews „Sinfonia concertante“ einen einsamen Solisten. Allen Beteiligten, die Hörer eingeschlossen, werden nur wenige Momente lyrischen Verschnaufens gegönnt. Es geht zu wie bei Tom & Jerry: Am Ende dreht das einsame Solo seinen Feinden doch noch eine Nase.

Der autobiografische Hintergrund dieses im finstersten Spät-Stalinismus entstandenen Stücks ist mit den Händen zu greifen. Dem Interpreten hilft dieses Wissen nicht: Der Cellist muss immer mit voller Kraft voraus, was nur wenige schaffen. Der gebürtige Berliner Alban Gerhardt meisterte diesen Kraftakt, soweit es in der Philharmonie überhaupt möglich ist, mit emphatischem Ausdruck und technisch souverän über das Orchester zu triumphieren.

Der deutsche Sieg über Argentinien habe ihn mitgerissen, verriet Gerhard in der Matinee am Sonntag, ehe er noch eine Salon-Petitesse des Cellisten Mstislaw Rostropowitsch zugab, der Prokofjew bei der Umarbeitung dieses Konzerts beriet und 1954 die Uraufführung spielte. Kunst und Sport wirken bei diesem Kraftakt wahrhaft zusammen, und die Übertragung der inspirierenden Energie unserer Fußballer soll unseres Wissens auch für eine ähnlich herausragende Aufführung samt einem BachDessert am nächsten Tag ausgereicht haben.

Umrahmt wurde dieses Ereignis mit „Finlandia“ und der Zweiten von Jean Sibelius. Der dunkle, vibratoreiche Ton der Münchner Philharmoniker passt an sich zu dieser Musik. Vielleicht sogar zu gut, denn der Dirigent Eivind Gullberg Jensen ein wenig zu sehr auf die Tugenden seiner Mitstreiter. Den breitwandigen Sibelius-Touch verströmte das Orchester der Stadt im Übermaß, die irritierenden Abbrüche, unterdrückten Stauungen und der gepresste Hochdruck kamen weniger gut zur Geltung. Ohne die Widerhaken und das innere Drama aber wird Sibelius als bessere Filmmusik leider unter Wert verkauft.

Robert Braunmüller

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