Tolle Geschichten, frech und frisch
Die Sopranistin Measha Brueggergosman eroberte den Herkulessaal
"Soll ich erzählen, was ein One-Night-Stand ist, hä?“ Measha Brueggergosman gluckst, deutet auf eine Lady in Reihe eins und grinst wie ein Breitmaulfrosch: „O.k., Sie wissen, was das ist!“ Measha hat’s gerne ein bisschen anzüglich, dann lacht sie mit ihren 31 wie ein Kanalarbeiter, tief und eine gute Spur zu dreckig für ein Wesen, das gerade Mahler und Strauss gesungen hat. Umwerfend gut übrigens.
Aber genau das macht diese Sängerin so sympathisch, so unverwechselbar. Measha schert sich um gar nix. Während sich ihre Kolleginnen auf steilen Hacken abmühen, trabt sie barfuß auf die Bühne, so, wie andere nachts zum Kühlschrank, um – ertappt – verlegen auf den üppigen Applaus im Herkulessaal zu reagieren. Dann schwingt sie sich noch ein bisschen ein wie eine Zehnkämpferin vor dem Start, konzentriert sich kurz und singt darauf das „Büble“ aus „Des Knaben Wunderhorn“ an – amüsiert, frisch, sicher, und mit einer Gestaltungsgabe, mit fabelhafter Diktion und kluger Phrasierung, dass versierte Liedkollegen neidisch werden müssen.
Genauso überrascht (nach einem unsäglichen „Capriccio“-Sextett der Münchner Symphoniker) sie mit Straussens „Cäcilie“ und der „Zueignung“ – Brocken, mit denen man in München leicht auf die Schnauze fällt. Aber die Kanadierin hat’s eben gelernt bei Edith Wiens. Und sich nicht frühzeitig von der Oper verschleißen lassen.
Dabei ist Meashas Stimme keine, die wie Mandelöl runtergeht – unten warm timbriert, oben etwas körnig und mit kontrolliertem Vibrato. Auch die Koloraturen sitzen nicht alle, aber da gibt es Farben, Nuancen, mit denen sie die tollsten Geschichten erzählt. Von Transvestiten (William Balcom „Cabaret Songs“) und springenden Fischen (Gershwin „Summertime“), vertrockneten Damen und, ach genau, One-Night-Stands.
Christa Sigg
Die CD "Surprise" erschien bei der Deutschen Grammophon
- Themen:
- Herkulessaal