"Titanic"-Chef: „Steinmeier wäre fatal“

30 Jahre „Titanic“: Leo Fischer ist seit einem Jahr „Titanic“-Chefredakteur Warum der 27-Jährige CDU wählt, und Politiker das Satiremagazin heute nicht mehr verklagen
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Das erste "Titanic"-Heft 1979
Titanic 2 Das erste "Titanic"-Heft 1979
"Titanic"-Chefredakteur Leo Fischer (27)
Titanic 2 "Titanic"-Chefredakteur Leo Fischer (27)

30 Jahre „Titanic“: Leo Fischer ist seit einem Jahr „Titanic“-Chefredakteur Warum der 27-Jährige CDU wählt, und Politiker das Satiremagazin heute nicht mehr verklagen

Die Satirezeitschrift „Titanic“ wurde 1979 gegründet. Größter Coup: 1988 wurde Chefredakteur Bernd Fritz mit einer gefakten Buntstiftwette bei „Wetten, dass?“ eingeschleust. Die von „Titanic“-Redakteuren gegründete Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, kurz die PARTEI, wurde zur Bundestagswahl nicht zugelassen. Ihre politische Hauptforderung: der Wiederaufbau der Mauer.

AZ: Herr Fischer, warum gibt’s bei „Titanic“ eigentlich so wenige Frauen?

LEO FISCHER: Wir haben nichts gegen Frauen, im Gegenteil, halten sie für ganz charmant und attraktiv. Wir erhalten zwar gelegentlich Manuskripte von Autorinnen und Zeichnerinnen, aber sehr viel weniger als von Männern. Unsere Redakteure Martina Werner hat einmal die Theorie aufgestellt, dass Frauen in unserer Gesellschaft keinen aggressiven Humor besitzen dürfen. Sie werden festgelegt auf Freundlichkeit, Konsens und Harmonie.

Bislang saßen jedenfalls nur Männer auf dem „Titanic“-Chefsessel und das jeweils relativ kurz.

Das stimmt, fünf Jahre in der Regel. Mein Vorgänger Thomas Gsella hat sogar nur drei geschafft.

An was liegt’s? Ist der Job des „Titanic“-Chefs etwa gesundheitsgefährdend?

Es liegen da tatsächlich gewisse gesundheitliche Belastungen bis hin zu körperlichen Bedrohungen vor. Als wir im vergangenen Jahr zur Buchmesse den Mohammed-Ähnlichkeits-Wettbewerb ausriefen, haben wir auch Warnungen von potenziellen Gefährdern erhalten: vom LKA Hessen. Tatsächlich hat sich aber auch gezeigt, dass nach fünf Jahren nichts mehr von dem brillanten und witzigen Menschen übrig ist, der in dieses Amt gehievt worden ist. Nur eine ausgebrannte, leere Hülle.

Liegt’s auch daran, dass man nach fünf Jahren mal wieder Geld verdienen muss?

Sicherlich auch.

Ist der große Verschleiß an Chefredakteuren ein Grund, dass – wie in Ihrem Fall – Praktikanten Chef werden?

Das kann natürlich sein. Der Chefredakteur muss in unserem Haus aber auch die niedersten Arbeiten verrichten, Gehälter und Löhne verwalten. Das ist etwas, was die hochbegabten Autoren und feingeistigen Zeichner, die wir hier beschäftigen, nicht wollen. Ich habe Verständnis dafür, dass man damit lieber jemand Niederrangigen betraut.

Werden Sie als Chef fünf Jahre lang durchhalten?

Ich hoffe, mich innerhalb von fünf Jahren ordentlich bereichern zu können. Wenn nicht, gehe ich gerne in Verlängerung. Ich sorge dafür, dass kein qualifizierter Nachwuchs zur Verfügung steht, versuche, mich unangreifbar und unersetzlich zu machen.

Ihre Vorgänger haben „Titanic“-Geschichte geschrieben, mit Buntstiften „Wetten, dass?“ gesprengt und die Fußball-WM nach Deutschland geholt. Was haben Sie Großes in Ihrer Amtszeit vor?

Wir haben uns auch in meiner Amtszeit durchaus schon einiges geleistet. Als der Papst Holocaust-Leugner relativierte, haben wir uns in Beichtstühle gesetzt und dort die Holocaust-Leugnung gebeichtet. Wir sind mit erstaunlich niedrigen Bußen weggekommen.

Gibt es ein persönliches Ziel?

Ja, Merkel muss Kanzlerin bleiben. Wir wollen, dass sie die Wahl gewinnt, weil wir befürchten, einen Kanzler Steinmeier satirisch nicht aufarbeiten zu können. Dieser Mann ist wie eine Wand, von der alles abprallt. Ein Kanzler Steinmeier wäre für uns sehr fatal.

Hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel eigentlich schon mal beschwert?

Nein, noch nie. Kohl übrigens auch nicht, trotz zahlreicher gewagter Titel, die wir mit ihm ausprobiert haben.

Eine Umfrage hat ergeben, dass sich 16 Prozent der Westdeutschen die Mauer wieder wünschen. Warum ist die PARTEI dennoch nicht zur Bundestagswahl zugelassen?

Der in seinem Amt völlig überforderte Bundeswahlleiter Roderich Egeler ist nachweislich ein notorischer Schlamper. Dieser Mann muss weg. Wir hoffen, dass die Wahl wiederholt wird, wenn die OSZE ihren Report, den sie auf unsere Veranlassung hin über die Wahlen anfertigt, der Bundesregierung vorlegt hat.

Ist Ihr Glaube an die Demokratie jetzt erschüttert?

Nein, wir haben ja noch nicht alle demokratischen Mittel ausgeschöpft. Wir bereiten einen weiteren Antrag beim Bundesverfassungsgericht vor, der Eilantrag ist ja gescheitert. Und wir haben die Möglichkeit, das Ergebnis nach der Wahl anzufechten. Und die werden wir ausnützen.

30 Jahre „Titanic“. Was ist Ihr Lieblingstitel?

Sarajevo – Stadt ohne Hoffnung. Der Titel zeigt ein Foto von Euro-Disney Paris und bringt mich nach all den Jahren immer noch zum Lachen. Vor allem jetzt, wo Sarajevo nicht mehr existiert.

Wird sich die Redaktion im Jubiläumsheft, das am Freitag erscheint, selbst feiern?

Wir machen kein stinkendes Eigenlob, sondern den Faktenjournalismus, für den wir bekannt sind. Auf dem Titel werden wir die dümmsten Wähler Deutschlands zeigen.

Wer sind die?

Das ist ein Staatsgeheimnis.

Früher wurde die „Titanic“ weit häufiger verklagt als heute. Ist Deutschland ironiefähiger geworden?

In den 90ern häuften sich Prozesse ganz erheblich, das ist richtig. Wir wissen nicht genau, warum wir jetzt nicht mehr verklagt werden. Ich vermute, dass das damit zusammenhängt, dass Politiker inzwischen einfach nur noch dankbar sind, wenn Bilder von ihnen gezeigt werden, ganz gleich, in welchem Zusammenhang. Das müssen wir leider in Kauf nehmen.

Wie hoch ist die Kriegskasse.

Den genauen Betrag kenne ich nicht. Aber unser Geschäftsführer hat für juristische Auseinandersetzungen ein Sonderkonto eingerichtet.

Angelika Kahl

„Titanic – das endgültige Satirebuch: Das Erstbeste aus 30 Jahren“ (Rowohlt, 400 S., 25 Euro)

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.