Tim und Struppi angeklagt

Der deutsch-französische Kulturkanal Arte beginnt heute eine 5-teilige „Tim und Struppi“- Dokumentation, die eher geografisch orientiert ist, als geschichtlich dunkle Seiten zu beleuchten
von  Abendzeitung

Der deutsch-französische Kulturkanal Arte beginnt heute eine 5-teilige „Tim und Struppi“- Dokumentation, die eher geografisch orientiert ist, als geschichtlich dunkle Seiten zu beleuchten

Zierlich ist der Held, beige sein Trenchcoat. Den Kragen halb aufgestellt, entdecken seine Knopfaugen immer neue kriminelle Machenschaften: „Donnerwetter“, kann es ihm entfahren. Seine Augenbrauen reißt das Erstaunen bis an den Haaransatz, wo eine dreizackige Tolle senkrecht in die Höhe ragt.

Tintin heißt er, was auf Französisch so viel wie „Nichts“ meint. An seiner Seite läuft Terrier Milou, der als klassischer Kumpel, dramaturgisch „Sidekick“ genannt, jedes Abenteuer begleitet. Auf Deutsch heißen die beiden weitgereisten Helden der Kindheit Tim und Struppi.

Beide Figuren sind Schöpfungen des belgischen Autors Georges Prosper Remi, der sich Hergé nannte. Von 1929 bis zu seinem Tod 1983 schrieb und zeichnete er „Les aventures de Tintin“. Sie übten starken Einfluss auf die Comic-Kultur aus. Hergé schuf den Comic-Stil der „Ligne claire“, seine Illustrationen haben kaum Schraffuren und sind flächig, ohne Farbverläufe koloriert.

Tintinologen und Tintinophile

Tim ist ein zeitloser Held. Generationen von Heranwachsenden nahm er in entlegene Regionen der Erde mit. „Er bleibt in seiner Jugend gefangen, nur die Welt wird im Laufe seiner Abenteuer älter“, sagt Tom McCarthy, der in seinem Buch „Tim und Struppi und das Geheimnis der Literatur“ (Blumenbar, 254 S., 18.90 Euro) den Comic analysiert hat. Damit gehört er zu den Tintinologen, die sich im Gegensatz zu den Tintinophilen, die schlichte Comic-Liebhaber sind, wissenschaftlich mit den Abenteuern des Krimihelden auseinander setzen.

In zahlreichen Webforen tauschen sich Tintinophile aus. Der Reiseanbieter „On the Go“ lädt ein, in den Fußstapfen der Abenteurer nach Belgien, Jordanien und Ägypten zu reisen. Und Steven Spielberg hat „Das Geheimnis der ,Einhorn’“ verfilmt, mit Jamie Bell in der Titelrolle und Daniel Craig als Red Rackham. Im Herbst 2011 soll der 3D-Film in die Kinos kommen.

Schattenseiten

Hergés Figuren sind keinesfalls unfehlbar, sie alle haben Schwächen. Schon die Tränensäcke von Kapitän Haddock verraten seine Vorliebe für Alkohol, seine zweite Leidenschaft ist das cholerische Fluchen. Der schwerhörige Professor Bienlein sorgt zusammen mit den tumben Detektiven Schulze und Schultze für eine Komik, die an die Slapstickfilme der 1920er erinnert.

Hergés eigene Geschichte war nicht immer unbeschwert. Nach der Schule arbeitete er bei der katholischen Zeitung „Le Petit Vingtième“, in der er erstmals 1932 episodisch das antikommunistische Werk „Tim im Lande der Sowjets“ veröffentlichte. Erst später entwickelte der von Nervenzusammenbrüchen und Albträumen geplagte Hergé eine linke Einstellung.

Noch während des Zweiten Weltkriegs war er bei der Zeitung „Le Soir“ beschäftigt, die mittelbar durch die deutsche Propagandaabteilung geführt wurde. Viermal wurde er deswegen in der Nachkriegszeit verhaftet. Zu einer Verurteilung kam es nie. Vom Staatsanwalt ist das Zitat überliefert: „Ich kann Tim doch nicht vor Gericht stellen. Dann müsste ich doch auch Struppi anklagen.“ Frei vom Zeitgeist blieben die Geschichten nicht: Im 1942 entstandenen Band „Der geheimnisvolle Stern“ tritt ein jüdischer Banker auf, zwei Jahre zuvor hatte Hergé antisemitische „Fables“ von Robert de Vroylande illustriert.

Anfang der 30er Jahre war auch „Tim im Kongo“ erschienen, um dessen Verbot sich ein Kongolese wegen rassistischer Vorurteile noch letztes Jahr bemühte: Reporter Tim ist hier in der damaligen belgischen Kolonie Kongo Aushilfslehrer in einer Dorfschule: „Heute bringe ich euch etwas über euer Vaterland Belgien bei“, erzählt er den „Negerkindern“ in der Ursprungsversion. Später korrigierte Hergé die allzu kolonialen Stellen.

Lisa Kassner

"Tim und Struppi" bei Arte

Mit der Hergé-Stiftung hat sich Arte auf die Spuren des Kosmopoliten Tim begeben. Dabei sind fünf Folgen entstanden, die täglich ab 19.30 Uhr zu sehen sind. Jede Folge stellt einen Handlungsort vor und collagiert dabei die Comicwelt mit der Realität des 21. Jahrhunderts. Die Reihe entführt am Montag mit „Die Zigarren des Pharaos“ durch den Orient, am Dienstag geht es nach China („Der Blaue Lotus“). In „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“ taucht erstmals Kapitän Haddock auf, den es nach Marokko zieht. Am widmet sich Arte dem Reiseziel Peru. Und auf den „Sonnentempel“ folgt am Freitag „Tim in Tibet“.

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