Tiger oder einsamer Wolf?
Er ist erst 36 und schon Objekt eines Biografen: Manuel Brugs hat ein Buch über Rolando Villazón geschrieben: Große Geheimnisse lüftet die Biografie allerdings nicht.
Er sei vor der Salzburger „Roméo et Juliette“-Premiere sehr nervös gewesen, bekennt der Tenor. Doch während der Vorstellung sei dann der Knoten geplatzt: „Ich habe viel Druck hinter mir gelassen“, sagte Rolando Villazón, der sich nach einer halbjährigen Auszeit nun wieder im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte fühlt.
Das Buch, das er mit diesen Worten vorstellte, ist skeptischer. Obwohl als „autorisierte Biografie“ beworben, bricht Manuel Brug nicht in ungetrübtes Jubeln aus. Villazóns Tendenz, französische Musik mit Puccini-Emphase hochzuputschen, sieht auch der Berliner Gesangs-Connaiseur kritisch, zumal der Mexikaner in seinem geschmackvollen Album „Gounod & Massenet: Arias“ (Virgin, 2005) bewiesen hat, wie zart-schwärmerisch er solche Musik singen kann, wenn er nur will.
Große Geheimnisse lüftet die Biografie nicht, zu der Villazón einige Karikaturen und Kinderfotos beigesteuert hat. Zur Krise gibt es kaum Neues, zu den Mitteln ihrer Überwindung schweigen Autor wie Sänger. Brug konstatiert fortdauernde Probleme mit der Atemstütze und hört die hohen Töne nicht mehr so mühelos fluten wie bisher. Wenn sich Villazón vor verausgabenden Arienkonzerten und exzessiven Mariachi-Gesängen bei den Partys hinterher hütet, könnte das Comeback jedoch von Dauer sein.
Der gefährliche Ritt auf dem Tiger ist freilich das Erfolgsrezept des Tenors, der Arturo Toscaninis böses Wort von den hirnschädigenden hohen Frequenzen Lügen straft: Seit sich der Ururenkel einer österreichisch-jüdischen Emigrantin Hesses „Steppenwolf“ kaufte, wurde er selten ohne Buch gesehen. Manchmal liest er zugleich sogar ihrer drei.
Brug beschreibt seinen Aufstieg nach dem 2. Platz bei Plácido Domingos Operalia-Wettbewerb von 1999 weitgehend aus eigener Anschauung. Er entflammt zwar bei Anna Netrebkos Wiener Julia–Auftritt in Hotpants und einer Burgerbrater-Pappkrone, geht dafür aber mit der von der Popindustrie entliehenen Vermarktung durch das Management des Klassik-Traumpaars hart ins Gericht. Den „Echo“ nennt er, was dieser ist: Ein „von CD-Labels untereinander ausgeklüngelter, von einer halbseidenen Deutschen Phono-Akademie abgesegneter Industriepreis“. Eine Trophäe zum wechselseitigen Selbstlob.
In einem Intermezzo lässt er die stagnierenden Karrieren von Roberto Alagna, Marcelo Álvarez, Joseph Calleja oder Salvatore Licitra passieren, um das Objekt seiner teilnehmenden Beobachtung zum wahren Nachfolger der „Drei Tenöre“ auszurufen. Nur Jonas Kaufmann, der sich künftig mehr im deutschen Fach zu tummeln gedenkt, traut Brug einen ähnlichen Hype zu.
Da stehen uns im Nationaltheater vergleichende Ekstasen bevor: Villazón umrahmt das Lohengrin-Debüt des Münchners als liebeskranker Goetheschmerzensmann in Massenets „Werther“ am 4. und 7. Juli 2009 bei den Opernfestspielen. Brug hat einen Vorschlag, der das Warten versüßt: Die Diskografie des Buchs empfiehlt das bei Opus Arte auf DVD erschienene Porträt seines hochneurotischen Don Carlos in Willy Deckers mätzchenfrei-präziser Inzenierung von Verdis Oper mit Riccardo Chailly und dem Amsterdamer Concertgebouw Orkest.
Robert Braunmüller
Manuel Brug: „Rolando Villazón – Die Kunst, Tenor zu sein“, Henschel-Verlag, 160 Seiten, 19.90 Euro
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