Tiere lügen nicht - Menschen schon
Die wenigsten wissen es, aber „Josephine Mutzenbacher“ und „Bambi“ haben denselben Vater: Felix Salten. Während der österreichische Hurenroman anonym erschien (aber als Saltens Erfindung gilt), ist Bambi aus einem ganz anderen Grund kaum noch mit seinem Schöpfer verbunden. Die meisten Menschen kennen nur den Disney-Film und eine der unterschiedlich langen Kinderbuchversionen, nicht aber mehr das Original, das 1923 als scheues Kitz das Licht der Buchwelt erblickte.
So ist es äußerst begrüßenswert, dass der Unionsverlag nun das Original wieder aufgelegt hat. Salten, der 1869 als Siegmund Salzmann in Budapest geboren wurde und später zum Wiener Literatenkreis um Hugo von Hofmannsthal und Karl Kraus gehörte, erweist sich als ein Erzähler, dessen Pathos und tierisches Einfühlungsvermögen auch heute noch fesselt – alle Generationen. Denn der zuckrige Bambi-Kitsch kam erst mit der Verfilmung zwei Jahrzehnte später ins Spiel.
Salten war sich sicher, „dass Tiere auch denken und miteinander sprechen“. Den großen Unterschied zu den Menschen markierte der Autor auf moralischem Terrain: „Das Tier kann nicht lügen. Ob es zu denen gehört, die morden, oder zu denen, die gemordet werden, immer ist es unschuldig, immer aufrichtig. Und nie sentimental.“
So wenig im Wald paradiesischer Frieden herrscht – auch der Fuchs braucht schließlich Nahrung – so sehr ist das Leben der Tiere doch ein Einklang, der nur von einem Lebewesen gestört wird. Auf Seite 50 macht Bambi erstmals Bekanntschaft mit dem Wesen, von dem alle nur raunen: „Bambi starrte die Gestalt an. Sie ist merkwürdig aufrecht, seltsam schmal, und sie hat ein blasses Gesicht, das an der Nase und um die Augen herum ganz nackt ist. Entsetzlich nackt. Furchtbares Grauen geht von diesem Gesicht aus.“
Bambi wird seine Lehren aus der Begegnung ziehen, Salten selbst lernte das grausame Gesicht der Menschen zehn Jahr nach der Niederschrift von „Bambi“ kennen. Die Nazis verboten seine Bücher, er konnte aber nach Zürich fliehen, wo er 1945 starb.
Felix Salten: „Bambi“ (Unionsverlag, 192 Seiten, 17.95 Euro
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