Thielemann unterschreibt nicht

Der Chef der Münchner Philharmoniker will keine Kompetenzen abgeben, der Stadtrat akzeptiert im Gegenzug die Bedingungen des Generalmusikdirektor nicht.
von  Abendzeitung

Der Chef der Münchner Philharmoniker will keine Kompetenzen abgeben, der Stadtrat akzeptiert im Gegenzug die Bedingungen des Generalmusikdirektor nicht.

Über alles war man sich einig: Die Finanzen, weniger Konzerte und zugunsten von Bayreuth keine Auftritte bei „Klassik am Odeonsplatz“. Aber es war vergeblich. Christian Thielemann will seinen 2011 auslaufenden Vertrag als Chef der Münchner Philharmoniker nicht verlängern. Was nicht heißt, dass er hingeschmissen hätte. Dem Vernehmen nach will Thielemann seine Verpflichtungen bis 2011 erfüllen. Es besteht auch eine Chance, dass nach einer Denkpause die Karten neu gemischt werden. Das Kind ist also in den Brunnen gefallen, aber noch nicht ertrunken.

Aber Thielemann ist ein sturer Kopf, der sich leicht in etwas verbeißt. Kulturreferent Hans-Georg Küppers will vor öffentlichen Äußerungen die heutige Stadtratssitzung abwarten. Sicher ist aber: Zum Bruch führte der Streit um die Macht des Generalmusikdirektors. Bisher konnte Thielemann über Gastdirigenten und ihre Programme bestimmen, was die Stadt ihm nicht weiter zugestehen wollte.

Zweitklassiger Alltag

Die Nicht-Verlängerung ist angesichts von Thielemanns großen Erfolgen mit dem Orchester bedauerlich. Aber man kann dem Kulturreferat nicht vorwerfen, leichtfertig einen Bruch herbeigeführt zu haben. Denn tatsächlich sorgt die Allmacht des Generalmusikdirektors für eine strukturelle Schwäche der Münchner Philharmoniker, die der künstlerischen Weiterentwicklung hemmend im Weg steht. Die Konkurrenz beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und in der Staatsoper beweist, dass eine Vielfalt musikalischer Handschriften den Charakter eines Klangkörpers nicht mindert, sondern schärft.

Die in der Mehrzahl mittelprächtigen Gastdirigenten sind seit der Ära des monomanischen Sergiu Celibidache ein Schwachpunkt der Philharmoniker. Thielemanns rigide Position hat aber einiges für sich: Er will den hart erarbeiteten Brahms-, Beethoven- oder Bruckner-Klang des Orchesters nicht durch Kollegen verderben lassen. Die Folge solcher Autokratie ist jedoch ein Zweiklassensystem der Konzerte, das vom philharmonischen Marketing auch noch durch ein „Thielemann-Abo“ unnötig unterstrichen wird.

Die alte philharmonische Krankheit

Wenn Gäste aber auf den klassisch-romantischen Kanon verzichten müssen, wird es schwer, überhaupt profilierte Pultgrößen zu gewinnen. Im Vergleich zum Symphonieorchester des BR ist der philharmonischen Alltag wenig attraktiv. Dirigenten wie Jonathan Nott, Daniel Harding und Ingo Metzmacher kommen nicht mehr. Bei der Konkurrenz regelmäßig wiederkehrende Berühmtheiten wie Bernard Haitink, Franz Welser-Möst oder Riccardo Muti sucht man vergeblich. Auch dem Ehrendirigenten Zubin Mehta scheint die Lust zu vergehen: In der kommenden Saison dirigiert er nach langer Zeit wieder beim Symphonieorchester des BR.

Thielemann unterschätzt wohl die Flexibilität seiner Philharmoniker, sicher aber die Fähigkeiten des Intendanten Paul Müller. Er ersetzte 2007 den kostspielig aus seinem Vertrag freigekauften Wouter Hoekstra. Müller wurde von den Bamberger Symphonikern abgeworben, um mit seinen Kontakten neue Köpfe zu gewinnen und die Programme attraktiver zu gestalten. Das ist ohne Macht jedoch schwierig.

Der Vorschlag der Stadt, Müller bei Streitfällen über Programme und Gäste entscheiden zu lassen, wirkt vernünftiger als Thielemanns Idee, dem Orchester das Recht zur Schlichtung zuzubilligen. Hätte die Stadt nachgegeben, hätte sie den Intendanten opfern und neben Hoekstra einen weiteren Luxuspensionär aushalten müssen.

Die Philharmoniker brauchen Thielemann, aber er braucht das Orchester nicht

Für weitere Verhandlungen hat sich Hans-Georg Küppers allerdings in die denkbar schlechteste Position manövriert. Denn das Orchester braucht sein Markenzeichen Thielemann für die internationale Reputation viel dringender als dieser die Philharmoniker. Nicht umsonst werben Plakate mit dem Monogramm des Dirigenten in der Stadt um Abonnenten. Er steht für wertkonservative Ansichten ebenso wie für die dunkle, erdige und expressive Klangvorstellung des Orchesters.

Umgekehrt braucht Thielemann die Münchner Chefposition nicht. Er ist der musikalische Kopf der Bayreuther Festspiele, dem die neue Leitung aus Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier auch in Zukunft wichtige Premieren anvertrauen wird. Die Wiener Philharmoniker lieben ihn als Gastdirigenten. Und die im Bayreuther Orchester mit vielen Musikern vertretene, derzeit cheflose Staatskapelle Dresden umwirbt ihn direkt. Sie pflegt wie die Philharmoniker ein romantisch geprägtes Klangideal, das Thielemann reizen könnte.

Hoffentlich weiß der Ober-Kulturreferent, was er tut

Trotzdem könnte das Kind aus dem Brunnen geholt werden. Thielemann hat oft betont, dass er sich in München wohlfühlt und weitermachen möchte. Für die verbleibende Laufzeit des Vertrags sind prestigeträchtige Gastspiele in Japan geplant, in Baden-Baden stehen Aufführungen der Strauss-Opern „Elektra“ und „Ariadne auf Naxos“ bevor. Bei einer Verlängerung wäre zum Wagner-Jahr 2013 ein „Ring des Nibelungen“ in greifbare Nähe gerückt.

Wenn es nicht gelingt, den Dirigenten zu halten oder bald einen gleichwertigen Nachfolger vorzustellen, hat der Oberkulturreferent Christian Ude ein Problem. Bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen der Stadt wirklich wissen, welch gewaltige Blamage die Vertreibung Thielemanns bedeuten würde.

Robert Braunmüller

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