Thielemann und die Philis: Wildes Dröhnen voll innerer Wut

Im ersten Konzert nach dem Zerwürfnis zwischen Christian Thielemann und den Philharmonikern gab es heftige Proteste gegen das Orchester und eine grandiose Aufführung von Bruckners Neunter. Der Dirigent setzte Signale der Versöhnung.
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MÜNCHEN - Im ersten Konzert nach dem Zerwürfnis zwischen Christian Thielemann und den Philharmonikern gab es heftige Proteste gegen das Orchester und eine grandiose Aufführung von Bruckners Neunter. Der Dirigent setzte Signale der Versöhnung.

Es gab sogar Karten an der Abendkasse für diesen mit Spannung und teilweise auch ängstlich erwarteten Abend. Die Luft wirkte elektrisch geladen, als die Münchner Philharmoniker zum üblichen Höflichkeitsbeifall Platz nahmen. Dann erschien der Konzertmeister Sreten Krstic. Als er das Zeichen zum Stimmen der Instrumente geben wollte, setzte es wütende Buhs.

Das Orchester hat es nicht anders verdient. Durch ihr tölpelhaftes Vorgehen tragen die Vertreter der Musiker eine Hauptschuld an Thielemanns Weggang, auch wenn ihre Kritik an bestimmten Unarten des Generalmusikdirektors berechtigt scheint. Mit ungeschickter, als Arroganz verstehbarer Körpersprache reizte Lorenz Nasturica-Herschowici, der zweite Mann am ersten Geigen-Pult, die Proteste weiter an. Da man vom Schreien rasch heiser wird, kehrte langsam Ruhe ein.

Bei Thielemanns Auftritt mischten sich Buhs unter den demonstrativen Jubel. Er brachte es rasch hinter sich, kam zur Sache: Anton Bruckners Neunte, die mit einem leisen Streichertremolo über dem Orgelpunkt der Kontrabässe beginnt. Dem ersten, sehr direkten Einsatz der Bläser fehlte jedes Misterioso, das Hauptthema dröhnte urgewaltig, klotzig und voll innerer Wut – wie es wohl dem widersprüchlichen Seelenleben der intern heftig zerstrittenen Musiker entspricht.

Aber im Verlauf des Konzerts wurde trotz oder gerade wegen der emotionalen Anspannung aller Beteiligten deutlich, dass Thielemann bei Bruckner einen dritten Weg jenseits von Mystifizierung und struktureller Kälte beschreitet: Er inszeniert das Drama der Themen. Selten kam klarer heraus, wie sehr sich die Neunte von den früheren Symphonien unterscheidet. Im ersten Satz wird die Katastrophe gerade noch abgewendet, die sich im langsamen Satz schließlich vollzieht.

Dieser Sicht entsprach ein schneidender Klang des Blechs und die Deutlichkeit der Holzbläser, die in mittleren Bruckner-Aufführungen untergehen. Überwältigend waren alle Stellen düsteren Brütens, grandios der verzweifelte Zusammenbruch auf dem Höhepunkt des Adagios mit dem Aufschrei des Tredezimenakkords. Vor die abschließende, durchaus zwielichtige Beruhigung setzte Thielemann eine spannungsgeladene Generalpause, die der ungerührte Handwerker an der Tuba mit dem Abstellen seines Instruments ruinierte.

Ein wunderliches, für das Orchester der Stadt aber leider charakteristisches Benehmen. Die begreifliche Nervosität und einige recht fahrige Tempo-Rückungen Thielemanns brachten die Musiker anfangs ins Schlingern. Aber man fand sich zusammen.

Am Ende erzwang der Dirigent eine lange Stille, die wiederum einigen Musikern zu lang dauerte. Es folgte der kräftige, aber nicht besonders lange Normalbeifall eines jeden Thielemann-Konzerts. Der Dirigent umarmte die Konzertmeister und verabschiedete sich von jedem Stimmführer per Handschlag. Ein Signal der Versöhnung. Es lässt hoffen, dass sich die verbleibenden Konzerte so abspielen, wie es sich unter Profis gebietet.

Robert Braunmüller

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