Kritik

Thielemann dirigiert Verdi bei Klassik am Odeonsplatz

Das BR-Symphonieorchester am ersten Abend des Münchner Klassikspektakels
von  Robert Braunmüller
Christian Thielemann dirigiert Verdi.
Christian Thielemann dirigiert Verdi. © Astrid Ackermann/BR

Die beiden Konzerte waren bereits im Frühjahr ausverkauft. "Klassik am Odeonsplatz" funktioniert nach über 20 Jahren als Marke. Was gespielt wird, scheint weniger wichtig zu sein - eine gewisse Prominenz der Interpreten vorausgesetzt. Insofern kann und darf man über das etwas eigenwillige Programm des ersten Abends mit dem Chor und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ein wenig die Nase rümpfen, auch wenn es im Prinzip sinnlos ist.


Christian Thielemann dirigierte ein reines Verdi-Programm. Steht der Dirigent nicht für andere Musik? Und steht die Marke Verdi nicht für Oper? Das eigenwillige Programm war, so hört man, sein Wunsch: Es dürfte ihn nerven, immer und ewig als Deutschmeister auf Wagner, Strauss und die drei großen B festgelegt zu werden.

Gespielt wurden die späten "Quatro pezzi sacri" und die in Opernvorstellungen fast immer fehlenden Ballettmusiken. Sie sind allenfalls als Pausenfüller bei Arienkonzerten zu hören. Aber als Hauptprogramm? Verdi hat diese Ballette nur komponiert, um den Konventionen der Pariser Oper zu genügen. Wer schon mal ein Buch über Verdi auch nur durchgeblättert hat, dürfte wissen, dass er sich diese Pflicht spottend erfüllte und die Ballette teilweise gar nicht in die Partitur mit aufnahm.

Aber Verdi ist nun mal Verdi und München die nördlichste Stadt Italiens. Auch wenn 90 Prozent der an diesem Abend gespielten Musik in Paris uraufgeführt wurde, beschworen die BR-Intendantin Katja Wildermuth und der städtische Kulturreferent Anton Biebl eingangs das unvermeidliche Klischee. Es darf einfach nicht fehlen, wenn Musik auf Weißwein trifft und unter einem wolkenlosem Himmel auch abends die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt.

Bei der Begrüßung machten weiter hinten sitzende Besucher lautstark auf anfangs fehlende Verstärkung aufmerksam. Maximilian Maier führte kurz, knapp und sanft ironisch ins Programm ein. Dann erschien Christian Thielemann. In seiner Zeit als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker hatte er seine Bayreuther Verpflichtungen als willkommene Ausrede vorgeschoben, um nicht an der frischen Luft dirigieren zu müssen. Nur einmal, im Sommer 2008, anlässlich des 850. Jahrestags der Stadtgründung, kam er nicht darum herum. Aber seien wir nicht nachtragend: Es gibt nichts Schöneres, als im Ruf der Sturheit stehende Menschen dabei zu beobachten, wie sie ihre Meinung ändern.

Thielemann kann natürlich nicht nur Wagner, sondern auch Verdi. Dass er einen Sinn für französische Klangfarben hat, weiß man auch. Beides half den mäßig inspirierten und im Fall von "Don Carlos" auch reichlich banalen Ballettmusiken durchaus auf. Der Sarkasmus des Hexenwalzers aus "Macbeth" hätte aber etwas mehr Pfeffer vertragen können.


Nach der Pause erschien für Verdis späte Handgelenksarbeiten der beim Publikum verdientermaßen äußerst beliebte Chor des Bayerischen Rundfunks. Dass die beiden A-Cappella-Stücke auf Alte Musik anspielen, kam nicht wirklich heraus: Thielemann wollte es auch nicht zeigen (Choreinstudierung: Howard Arman). In den besten Momenten erinnerten das "Stabat Mater" und das "Te Deum" an Verdis "Requiem". Der Dirigent legte aber eine mild-melancholische Brahms-Stimmung darüber, bedingt auch durch die Gegensätze nivellierende Tontechnik.

So heilig sind die mehrheitlich 1898 in der Pariser Opéra uraufgeführten Stücke auch wieder nicht, als dass man vor lauter Ergriffenheit keine Zugabe mehr spielen dürfte. Immerhin ist nun bewiesen, dass das Publikum am Odeonsplatz auch eher Sperriges jenseits von Dvořáks Symphonie "Aus der Neuen Welt" akzeptiert.

Trotzdem darf man sich darüber wundern, wie sich das BR-Symphonieorchester bei seinem Schaufenstertermin präsentiert: als Opern-, Operetten- oder Filmorchester. Nun wissen wir auch, dass sie ein hervorragendes Ballettorchester sind.

Sind das Rücksichten auf das übertragende Fernsehen? Das wird von Insidern so heftig behauptet wie bestritten. Da der künftige Chefdirigent Simon Rattle aber wie kein zweiter weiß, wie man Kunstanspruch und Entertainment zusammenbringt, können die Auftritte des Chors und des BR-Symphonieorchesters nur noch besser werden. Gut sind sie - bei allen möglichen Einwänden - aber schon jetzt.

Die ARD sendet am 14. Juli um 22.30 Uhr einen Zusammenschnitt aus beiden Abenden

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