Theatersterben und die Stadt München schaut zu

Die freien Theater haben sich zusammengetan, um klarzumachen: Wenn es finanziell so weiter geht, ist diese Szene tot
Mathias Hejny |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Ein Fund im Stadtarchiv von 1989: Ausgeixt wurden jetzt die seither gestorbenen Theater. "Aber wenn wir noch ein Plakat von Ende der 70er Jahre gefunden hätten, dann wären da noch 20 Theater mehr drauf, die auch schon alle weg sind", sagt Dietmar Höss vom Rationaltheater.
Stadtarchiv/Rationaltheater Ein Fund im Stadtarchiv von 1989: Ausgeixt wurden jetzt die seither gestorbenen Theater. "Aber wenn wir noch ein Plakat von Ende der 70er Jahre gefunden hätten, dann wären da noch 20 Theater mehr drauf, die auch schon alle weg sind", sagt Dietmar Höss vom Rationaltheater.

Früher war mehr Theater. Als mahnende Illustration zu ihren acht Brandbriefen über die Lage der freien Theaterszene in München zeigen die Initiatoren ein Plakat aus dem August 1989. Es fasst die monatlichen Spielpläne sowohl der freien Gruppen und Bühnen als auch der kommerziellen Theater jenseits der großen Staats- und Stadttheater auf einen Blick zusammen. 42 Veranstalter sind in dieser Übersicht aufgelistet. Übrig sind heute noch 19.


Vor 30 Jahren gab es noch Betriebe wie beispielsweise das Theater 44 im westlichen Schwabing, das Hinterhoftheater hoch im Norden im Stadtviertel Am Hart, das Theater rechts der Isar in Haidhausen oder das Moderne Theater im Glockenbachviertel. Dort zog 1999 das Theater Undsofort ein, das heute in einem ehemaligen Supermarkt in Sendling spielt. Deren Leiter Heiko Dietz weiß selbstbewusst zu berichten, dass sein Haus von den Nachbarn im ansonsten kulturfernen und reinen Wohnviertel als Treffpunkt mit Theaterangebot akzeptiert ist und gut genutzt wird.

Natürlich kamen in der jüngeren Vergangenheit auch neue kleine Häuser dazu wie das Hoftheater im Stemmerhof gegenüber der Sendlinger Kirche oder das Hofspielhaus in der Altstadt unweit der durchaus kulturgesäumten Maximilianstraße.

Auch räumen die Autorinnen und Autoren der an 20 mit kommunaler Kultur- und Etatpolitik befassten Stadtparlamentarier gerichteten Briefe ein, dass früher natürlich nicht alles besser war. Aber "es war mehr los", heißt es in Nummer 7 der Texte.


Die Anzahl von acht verzweifelten bis zornigen Mitteilungen bezieht sich auf "die letzten acht freien Stadtteiltheater, deren Projekte gefördert werden". Damit komme auf jede dieser Spielstätten 187 500 Münchnerinnen und Münchner. "Das ist mehr als die Einwohnerzahl Regensburgs". Die Debatte um die Form dieser Förderung ist nicht neu. Schon seit vielen Jahren wird geklagt, dass die Subventionen sich ausschließlich auf Neuproduktionen beziehen.


Nach Verhandlungen mit den Künstlerinnen und Künstlern wurden die Richtlinien vor Kurzem immerhin so weit verändert, dass nicht grundsätzlich nur immer Neues aus dem Topf des Kulturreferats unterstützt wird. Nun kommen auch Wiederaufnahmen erfolgreicher Stücke sowie Gastspiele in anderen Städten und Tourneen in den Genuss öffentlicher Gelder. Das grundsätzliche Problem für alle, die in der Off-Szene arbeiten, bleibt aber bestehen. Kosten für den Theaterbetrieb als solchen fallen ganzjährig an.

Dazu gehören die Bühnen selbst mit ihrer oft anspruchsvollen Technik, das Büro mit Möbeln und technischer Ausstattung, die Steuerberatung, die Öffentlichkeitsarbeit, die Reinigung der Räume und - nicht zuletzt - die exorbitant steigenden Mieten, für die die Landeshauptstadt einen ebenso legendären wie traurigen Ruf erworben hat. Dieses Preisniveau würde zwar den "hochbezahlten Mitarbeitern von Apple, Microsoft und Amazon höchstens ein müdes Lächeln abringen", doch die "bestens ausgebildeten Kunst- und Kulturschaffenden verlassen die Stadt".

Der Tod der Theater wird billigend
in Kauf genommen

Seine Bedeutung als Ort einer vielfältigen, kreativen und innovativen Kulturszene "mit Leuchtkraft" habe Isar-Athen inzwischen an Städte abgegeben wie Berlin, Wien, Hamburg oder Leipzig, wo die Rahmenbedingungen besser seien. Der Niedergang der freien Theaterszene werde dagegen in München "billigend in Kauf genommen".

In Anton Biebls Kulturreferat weiß man natürlich um dieses Problem und zeigt auch Verständnis dafür, dass im Vorfeld von Haushaltsberatungen im Rathaus und Wahlen zum Landtag "Lobbyarbeit" betrieben werde. Da aber noch nicht alle Briefe der Serie vorlägen und erst mit allen Akteurinnen und Akteuren gesprochen werden müsse, werde die Aktion erst anschließend kommentiert. Das bisherige Fördermodell sei in Zusammenarbeit mit der freien Szene immer wieder "nachjustiert" worden, doch die "umfassende Reform, die gemeinsam angestrebt wird, würde andere finanzielle Rahmenbedingungen erfordern". Diese seien zur Zeit "leider nicht gegeben", heißt es in der vorläufigen Stellungnahme des Kulturreferats.

Dietmar Höss vom Rationaltheater, der an der Spitze der Briefeschreiber steht, findet dieses Argument angesichts der geringen Beträge, um die es bei einem Gesamtetat von 3,8 Milliarden Euro gehe, "lächerlich" und sieht jetzt die Zeit, "in die Konfrontation zu gehen".

Selbstverständlich, wenn auch "zähneknirschend", sei die Diskussion während der Corona-Zeit zurückgestellt worden. Wie wichtig die Arbeit der Off-Szene für das Publikum sei, habe er aber auch damals erfahren, als während der vorstellungsfreien Lockdowns aus kleinen Spenden ein Betrag von 20 000 Euro für sein Haus zusammengekommen sei. Der Betreiber des traditionsreichen Theaters, das von Max Uthoffs Vater 1965 gegründet wurde und zeitweilig vom Filmregisseur Edgar Reitz als Kino genutzt wurde, hat von dem, "was uns erzählt und dann nicht gemacht wird", genug.

Die meisten von ihnen stünden so "an der Wand", dass es keine Zeit mehr gebe für weiteres Warten. Niemand könne von 365 Tagen ehrenamtlicher Tätigkeit im Jahr leben. Es fehle auf politischer Seite eine "Wertschätzung der Theaterleitung und des gesamten Personals". Mit einem Bekenntnis der Politik zur freien Kultur würde München nicht "nur als Wirtschaftsstandort, Fußballmetropole und Rentnerparadies wahrgenommen".


Für den 25. September, 17.30 Uhr, lädt Höss zu einer Podiumsdiskussion in Rationaltheater ein, an der nicht nur Vertreter der Off-Theater, sondern auch der Fördermittel-Jury und des Stadtrats teilnehmen werden.

Mathias Hejny

Unter www.rationaltheater.de kann man unter "Es brennt" die acht Brandbriefe lesen, von denen alle zwei Tage ein weiterer freigeschaltet und abgesandt wird

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.