Tatort - das Gedränge in der Königsklasse

Im "Tatort" ermitteln immer mehr und immer neue Teams - das verwässert die Erfolgsgeschichte
von  Volker Isfort

Wahrscheinlich gibt es Männer, die sich liebend gerne von Nora Tschirner verhaften oder mit Til Schweiger eine Prügelei liefern würden. Aber es gibt wohl niemanden, der Christian Ulmen einen Mordermittler abkauft.

Dass auch er sich im 42. „Tatort“-Jahr in die beängstigend schnell wachsende Schar der Kommissare einreihen darf, markiert deutlich den Wendepunkt der Serie. War es früher fast eine Lebensaufgabe, wenn man sich in den „Tatort“-Dienst begab, so ist es nun ein kleiner Abenteuerausflug. Ulmen und Tschirner sollen ein Mal im Jahr für den MDR ermitteln, vielleicht aber auch nur ein Mal.

Unter dem Label „Tatort“ lassen sich disparateste Ansätze zu einer Erfolgsgeschichte bündeln. Das beflügelt die Kreativität der Redakteure in den regionalen ARD-Anstalten: Alles ist möglich – der krude Ansatz ist das neue Markenzeichen. Der Kommissar hat einen Kater, Kopfschmerzen, oder einen Hirntumor. Er löffelt kaltes Dosenravioli, weil ja irgendein Trauma aus der Vergangenheit ein paar Folgen später Drehbuchstoff liefern könnte.

Ulrich Tukur lässt seinen Kommissar nun von Hirntumor heilen, weil er diesen Fallschirm zum Austieg doch nicht nutzen mag. Nina Kunzendorf aber hat wohl keine Lust mehr als reichlich eindimensionale Tusse im Frankfurter „Tatort“ ihr schauspielerisches Talent zu verschleudern. Sie hört auf - trotz blendender Quote. Es hat sich etwas geändert. Nicht der Fall steht im Mittelpunkt, sondern die Interaktion mit den Kollegen, oder das Privatleben.

Dabei ist dies im fiktiven Leben durchaus so belastend wie im realen. Noch kein Drehbuchautor hat es vermocht, Maria Furtwängler als alleinerziehende Kommissarin in Hannover sinnvoll mit ihrem Filmkind zu verbinden. Es stört und muss schnell abgegeben und kurz betreut werden - in jeder Folge.

Auf 22 Ermittlerteams und Städte (inklusive des geplanten BR-Franken-Ablegers) hat sich der „Tatort“ aufgebläht, doch pro Jahr gibt es nur drei Dutzend Sendeplätze für neue Fälle. Der Wiedererkennungswert schwindet. Zwar gilt der „Tatort“ nach wie vor als Königsklasse der Krimiunterhaltung, aber die Verwässerungsgefahr wächst. Und längst ist der „Tatort“ kein Gütesiegel für den besten Krimi. Senta Berger und Gerd Anthoff beispielsweise liefern zwei Mal im Jahr mit „Unter Verdacht“ weitaus interessantere Unterhaltung. Auch der Münsteraner „Wilsberg“ steht seinem humorigen „Tatort“-Pendant mit Jan Josef Liefers und Axel Prahl nicht nach.

 Aber Humor – man denke nur an die Flut der schauderhaft-lustigen Regionalkrimis – ist für den „Tatort“ ohnehin ein Irrweg - das zeigte auch Tukurs überdrehte Edgar Wallace-Parodie. Das Erfolgsgeheimnis der Serie ist nicht das Schielen auf Trends, der Versuch, origineller zu sein als die Konkurrenz oder Kinostars ermitteln zu lassen. Der „Tatort“ lebt von seiner Beständigkeit – von dem beruhigenden Gefühl, gemeinsam mit Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec zu ergrauen.

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