Tanz im Popcorn-Meer
Für das Young Directors Project der Salzburger Festspiele inszenierte Jette Steckel die Uraufführung von Ilija Trojanows „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“
Aus einem riesigen Sack ergießt sich ein Berg Styropor-Popcorn über die beiden Darsteller, auf dem sie sich mühsam herauswühlen und in dem sie nun knietief watend ihre Fantasien und Träume durchspielen. Das Popcorn-Meer ist eines der verblüffendsten Bilder in Jette Steckels Inszenierung „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“. Die 27-jährige Regisseurin und ihre Dramaturgin Susanne Meister haben Ilija Trojanows Roman dramatisiert, die Koproduktion mit dem Hamburger Thalia Theater wurde im Rahmen des Young Directors Project bei den Salzburger Festspielen im republic uraufgeführt. Das Publikum nahm die bildstarke, sonst eher harmlos verspielte Aufführung begeistert auf. Mal sehen, ob Steckel damit heute den Montblanc Young Directors Award gewinnt.
Der 34-jährige Schriftsteller Trojanow verarbeitete in seinem Debütroman 1996 die Flucht seiner Familie aus dem sozialistischen Bulgarien, die in ein Auffanglager bei Triest und später nach Deutschland führte. Doch erst erzählen uns fünf Akteure etwas umständlich die Familiengeschichte und -verhältnisse. Bühnenbildner Florian Lösche lässt den Urstoff des Popcorn als übermannshohes Maisfeld sprießen, durch das die Schauspieler sich Schneisen schlagen. Die Großmutter Slatka (Verena Reichhardt) jammert über Zuckermangel und träumt von Kuba, der lebenslustige Vater Vasko (Misco Kreibich) schwenkt pflichtgetreu die rote Fahne zur „Internationale“. Aber dann will aber nur noch weg, bis Mutter Jana (Lisa Hagmeister) nachgibt und Baby Alexandar (Jörg Pohl) im blauen Strampler und mit Puppe beinahe die Flucht vermasselt.
Vor allem schöne Bilder
Komische Szenen spielen sich im Flüchtlingslager (nun das abgeerntete Stoppelfeld) ab. Eine Frau schäumt sich zur Körperenthaarung ein und schwärmt von feinen Dessous, während Jana geniert ihre „sozialistische Unterhose“ wäscht. Im Supermarkt erlebt sie vor dem Süßigkeiten-Regal einen Kulturschock: Sie wollte doch nur ein Stück Schokolade. Und die TV-Show „Asylanten-Roulette“ führt zynisch einen Jungen in Bangladesh vor, der versucht, das Wort Hohenzollern korrekt auszusprechen.
Der Traum von der eigenen Zwei-Zimmer-Wohnung und einem großen Auto erfüllt sich in Deutschland. Doch nach dem Tod der Eltern versumpft der 20-jährige Alexandar in „fortgeschrittener Oblomowisierung“: faul und lethargisch, eingeschnürt in seine Matratze, liegt er vor dem Fernseher und mampft Popcorn. Aus der Matratze und der Apathie befreit ihn sein Taufpate Ban Dai befreien, ein Magier der Würfel, genialer Spieler, Lebenskünstler und Geschichtenerzähler. Im Roman ist er fast 100, Bruno Cathomas spielt ihn als agilen Fünfziger mit pomadigem Haar, Chaplin-Schnauzer, flottem Spazierstöckchen zum Anzug und jeder Menge Lebensweisheiten. „Lern’ spielen von mir“, sagt er, spricht über Dante und Vergil in der Hölle, bringt Alex im Popcorn-Berg zum Radfahren und reist mit ihm nach Paris. Ban Dais Fantasie, Improvisation und Spiellust Alex reißen mit, und wenn Cathomas und Pohl zur Musik von Mark Badur und Ulrich Kodjo Wendt durchs wirbelnde Styropor tanzen, applaudiert das Publikum.
Jette Steckel hat schöne Bilder gefunden, die Aufführung bleibt aber oft in knalligem Klamauk und oberflächlicher Albernheit stecken. Und einige Kürzungen könnten ihr nur gut tun.
Gabriella Lorenz