"Tannöd" mit Monica Bleibtreu und Julia Jentsch
Zweiter Anlauf: Der Thriller "Tannöd" - ein irritierender Fall aus Inzest, Mord und Totschlag - kommt mit Julia Jentsch, Monica Bleibtreu und Brigitte Hobmeier in die Kinos.
„Sechsfacher Raubmord / 100.000 Mark Belohnung!“ So steht es in Frakturschrift am 7. April 1922, genau eine Woche nach der Auslöschung der Bauersfamilie Gruber samt Kind und Kegel, im „Bayerischen Polizeiblatt“. Die Belohnung wartet noch immer auf Abholung. Der Massenmord im oberbayerischen Hinterkaifeck ist Aktenzeichen XY – ungelöst.
Sachbücher wurden verfasst, Romanautorin Andrea Maria Schenkel in Plagiatsprozesse verwickelt, ihr Buch verkaufte sich über eine Million Mal. Der Mordfall erreichte dramatisiert Theaterbühnen und Anfang des Jahres kam ein unsäglich schlechter Mystery-Thriller ins Kino.
Jetzt nimmt das Kino den zweiten Anlauf, aus dem irritierenden Fall aus Inzest, Mord und Totschlag Spannung zu schlagen. Die Schweizerin Bettina Oberli hatte als Regisseurin mit Julia Jentsch und Monica Bleibtreu, Gundi Ellert und Brigitte Hobmeier ein gutes Ensemble versammelt.
Der Film „Tannöd“ zeigt die Provinz-Geschichte vor dem landwirtschaftlichen Modernisierungsschub, führt sie aber in die 60ern und so näher an uns heran. Und – als ob man den undurchschaubaren Geschehnissen dramaturgisch misstraute – gibt es eine Rahmenerzählung: Julia Jentsch kommt als nichteheliches Kind einer Magd zurück zur Beerdigung ihrer Mutter ins Dorf. Dort wird sie in die unbewältigte Mordgeschichte verwickelt, die das Dorf seit zwei Jahren nicht zur Ruhe kommen lässt. Monica Bleibtreu spielt darin eine Art Hexe, die die Bewohner anklagt mit dem Menetekel: Die Mörder sind unter uns! Und am Ende scheint es, als ob die gesamte Dorfgemeinschaft verwickelt ist – sexuell, finanziell, eifer- und rachsüchtig.
„Tannöd“ verzichtet dabei nicht auf Nebelwald-Irrgarten und Rottkäpchen-Assoziationen mit Kettenhund-Rottweiler als Höllenhund, Grusel-Marterl, zwielichtige Landstreicher, um dann wieder einen Dorf-Realismus aus Enge und Misstrauen und Neid zu wagen. Das gelingt nicht immer: Beim Leichenschmaus in der Dorfwirtschaft tritt Monica Bleibtreu in ihrer letzten Rolle als hexenartige dornröschenartig Zwietracht säend auf und klagt, die Mörder sind unter uns! Es ergibt sich ein künstlich wirkendes Reihenverhör, das am Ende alles im Dunkeln lässt, mit einer naiven Schlägerei am Abend. Und in diesen Szenen offenbart sich die Schwäche des Filmes: Er ist nicht psychologisiert, bleibt in der Figurenzeichnung schablonenhaft. Das Gegenteil aber wäre aber wenigstens als Dorfsittengemälde nötig gewesen, wenn man schon die eigentliche Krimi-Frage – wer war’s? – nicht klar beantworten will.
Adrian Prechtel