Surreales aus dem Saft des Lebens

Die Fotografin und Filmemacherin Ulrike Ottinger in der Sammlung Goetz
von  Christa Sigg

Sie lächelt unter den grauen Locken, nach all den Reisen voller Strapazen hat sich etwas Mildes eingeschlichen in diesen Blick. Ulrike Ottinger ist weit herumgekommen, sehr weit. Als erste weibliche Filmerin war sie in der Mongolei unterwegs. Und jetzt blitzt aus ihren braunen Augen immer noch diese umwerfende Neugier. Vor kurzem erst ist sie 70 geworden, alle reißen sich um die Frau vom Bodensee – was nichts an der Akribie ändert, mit der sie sich ans Werk macht.

Man spürt das sofort, wenn man in die tieferen Regionen der Sammlung Goetz vordringt, also ins Base 103, vorbei an den raumfüllenden Installationen Pawel Althamers. Dass der polnische Künstler ihr die Schau stehlen könnte, dieser Gedanke verflüchtigt sich schnell. Von Ottingers Arbeiten geht eine sagenhafte Energie aus. Da ist nichts, von dem man sich im Vorbeigehen berieseln lassen könnte, binnen Sekunden ist man drin in diesem surrealen Mysterienspiel voller Figuren am Rande der Gesellschaft, Freaks und glamourösen Gauklern.

Schamaninnen haben ihren festen Platz im barocken Œuvre

Schon auf dem Lamellenvorhang zur Groß-Installation „Floating Food” posiert Ottingers übliches Personal – zwei märchenhaft Kostümierte („Dorian Gray...”) – laden zum Weltentheater. Und man sollte nicht zimperlich sein. Etwa wenn sich ein Taiga-Nomade ans Töten eines Tiers macht und seinem „Opfer” langsam massierend das Leben aushaucht. Oder zwischen Schweinsköpfen in einer Metzgerei slawische Melancholie gepflegt wird.

Um nichts weniger als die großen Themen des menschlichen Daseins geht es hier, im Konkreten um den Umgang mit der Nahrung in den unterschiedlichen Kulturen. Dazu gehören genauso die überbordenden Märkte Asiens oder das reale Boot, das den Raum quert. Ottinger verdichtet hier ihr Schaffen zu fünf prallen Stunden. Und natürlich tauchen dazwischen die starken Frauen auf, die Weibs-Schamanen, die ihren festen Platz haben in diesem geradezu barocken Œuvre.

Die Lesart? Muss offen bleiben. Am besten, man lässt sich treiben in diesem Kosmos, der jetzt in München zu erleben ist – und lauscht heute den Ausführungen der Künstlerin, die sich mit Haus-der-Kunst-Chef Okwui Enwezor unterhält.

Ausstellung: bis 6. Oktober 2012 in der Sammlung Goetz, Oberföhringer Str. 103, Mo bis Fr 14 bis 18, Sa 11 bis 16 Uhr, Anmeldung unter Tel. 95939690;
Künstlergespräch mit Filmausschnitten, 27. Juni 2012, 19 Uhr, Haus der Kunst, Eintritt: 5 Euro

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