Sucht nach Geschichten

Die Verfilmung von Cornelia Funkes "Tintenherz" läuft gerade in den deutschen Kinos an. Funke, die seit 2005 in Los Angeles wohnt, hat den Film selbst mitproduziert.
von  Abendzeitung

Berlin - Die Verfilmung von Cornelia Funkes "Tintenherz" läuft gerade in den deutschen Kinos an. Funke, die seit 2005 in Los Angeles wohnt, hat den Film selbst mitproduziert.

Mit Büchern wie „Die wilden Hühner“ gilt Cornelia Funke derzeit als wichtigste deutschsprachige Kinderbuchautorin. Ihre Werke wurden in über 30 Sprachen übersetzt.2007 erschien mit „Tintentod“ der letzte Teil ihrer Trilogie, dessen erster, „Tintenherz“ gerade in unsere Kinos kommt. Im Interview spricht die 50-jährige Autorin über die Grenzen von Bücher, wie sie schreibt und wie man Kinder zum Lesen bringt.

AZ: Frau Funke, in „Tintenherz“ treten die Figuren aus dem Buch heraus in unsere Welt. Ist die Verfilmung eines eigenen Romans für Sie ähnlich abenteuerlich?

CORNELIA FUNKE: Hier hatte ich bislang viel Glück mit Verfilmungen wie Detlev Bucks „Hände weg von Mississippi“ oder Vivian Naefes „Die wilden Hühner“. Ich habe kein Problem damit, wenn meine Geschichten verändert werden. „Tintenherz“ laut vorzulesen, würde wohl 18 Stunden dauern. Der Film hat zwei Stunden Zeit.

In „Tintenherz“ geht es oft um die Lust am Lesen. Kann das ein Film überhaupt zeigen?

Bei den „Tintenbüchern“ geht es für mich primär ums Geschichtenerzählen. Wir haben diese Sucht nach Geschichten, weil wir unser Leben immer wieder in eine Form bringen wollen. Es soll Anfang, Ende und einen Sinn geben. Da spielt es keine Rolle, ob das im Buch oder im Film passiert.

Stets gibt es bei der Darstellung des Bösewichts Capricorn und seiner Männer deutliche Parallelen zum Faschismus.

Ich bin in einer Generation aufgewachsen, die verstehen wollte, wie der Faschismus funktioniert hat. Ich fand es als Kind bestürzend, dass die Liebe der Menschen zueinander als Waffe gegen sie benutzt wird. Dass Eltern mit ihren Kindern erpresst wurden. Dass Angst benutzt wurde, um aus Menschen Feiglinge zu machen. Seit meinem 16. Lebensjahr bin ich Mitglied von Amnesty International, habe mich viel mit politischer Unterdrückung beschäftigt. Meine Bösewichte sollten sehr real wirken, so wie sie arbeitet heute jede Drogengang. Das sind immer die gleichen faschistischen Mechanismen.

Kann man da im Buch weiter gehen als im Film?

Regisseur Iain Softley hatte zum Beispiel Szenen gedreht, in denen Capricorns Männer das Dorf übernehmen, die so finster waren, dass die Kinder wahrscheinlich schreiend davongelaufen wären. Das Visuelle wirkt so überwältigend, dass man eine kindergerechte Version fürs Kino entwerfen muss. Im Buch kann man deutlicher, ernsthafter werden, ohne die Kinder zu verlieren.

Wo liegen für Sie die Grenzen des Zumutbaren?

Ein drastisches Beispiel: Wenn man eine Leiche im Wald findet, würde man für den Erwachsenen schreiben, dass die Vögel zuerst die Augen fressen. Für Kinder sagen wir, dass die Leiche da liegt und Raben drauf sitzen. Kinder lesen wesentlich bildhafter als wir. Wenn sie einem Kind zwei Sätze geben, hat es schon eine ganze Welt im Kopf. Wenn wir unsere alten Kinderbücher lesen, denken wir: Das war alles? Da war doch eine ganze Welt, als ich das damals gelesen habe. Aber die haben wir uns als Kind dazu gebaut.

Wie würden Sie Ihre Aufgabe als Jugendbuchautorin formulieren?

Ich bin Wortefinderin. Das ist mein Beruf. Ich finde Worte, für das, was wir alle fürchten oder lieben. Ich schreibe Geschichten, weil ich gerne Fragen stelle, ohne die Antworten zu liefern. Ich bin nicht klüger als meine Leser. Deshalb packe ich auch keine Botschaften in meine Bücher. Ich stelle genau dieselben ratlosen Fragen wie alle anderen und versuche das in eine literarische Form zu verpacken.

Nach jüngsten Studien nimmt jeder vierte Deutsche nie ein Buch zur Hand.

Die Statistik hätte vor 30 Jahren kaum besser ausgesehen. In meiner Klasse gab es vielleicht zwei Kinder, die gelesen haben. Wir sollten unseren Kindern die Fähigkeit erhalten, sich in Geschichten auszudrücken. Wenn sie das in einem Film oder Videospiel tun wollen, dann müssen wir in den Schulen vermitteln, wie ein Film gemacht wird, damit die Kinder verstehen, mit welchem Medium sie es zu tun haben. Es hat keinen Sinn, das Buch anderen Medien konkurrierend gegenüberzustellen. Das wäre das Todesurteil für das Buch, weil die Kinder dann denken: Lesen, das ist etwas, was nur die Eltern von mir wollen.

Interview: Martin Schwickert

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.