Stromberg strafversetzt

Gestern startete ProSieben die vierte Staffel der Büro-Serie, die viele Preise abräumt, aber nur von wenigen Menschen gesehen wird. Die ersten beiden Folgen bieten bewährten Wahnsinn und Anlass für etwas Kritik
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Gestern startete ProSieben die vierte Staffel der Büro-Serie, die viele Preise abräumt, aber nur von wenigen Menschen gesehen wird. Die ersten beiden Folgen bieten bewährten Wahnsinn und Anlass für etwas Kritik

Finsdorf. Schon der Name spricht Bände – beziehungsweise Aktenordner. Bernd Stromberg alias Christoph Maria Herbst, Ex-Herrscher über die Schadensregulierung von M bis Z in der Capitol Versicherung, wird in der neuen Staffel der ProSieben-Serie aufs Land strafversetzt.

Als Marketing-Gag hat der Sender eine Internetseite eingerichtet: Finsdorf.de präsentiert sich in herrlich gestrigem Retro-Design der 90er, informiert mit blinkender Schrift, vielen Pfeilen und Schriftarten über den fiktiven Ort. Im Bereich „Veranstaltungen“ taucht die Müllabfuhr auf („donnerstags, circa 13.00 Uhr“) und unter „Neues“ Stromberg selbst.

Aber Stromberg wäre nicht Stromberg, würde er sich nicht auch diese Degradierung irgendwie schönreden: „Hier soll ich jetzt was aufbauen, was meine Erfahrung anbelangt im Bereich Teamführung“, schwadoniert er im menschenleeren Kaff, während eine Seniorin im auberginefarbenen Anorak auf einem Moped durchs Bild braust.

Zu Beginn der Staffel gibt es zwei Schauplätze: Finsdorf und das alte Büro, in dem immer noch Publikumsliebling Berthold „Ernie“ Heisterkamp (Bjarne Mädel) sitzt – wenn auch aus Rückengründen inzwischen auf einem Gymnastikball. Ernie schiebt Depressionen (was in Folge 2 schon etwas nervt), ist aber erfreulicherweise immer noch stolzer Besitzer einer Handygürteltasche, sagt „Okäse“ statt „OK“ oder Dinge wie „Ich muss meine Mutter neu bepflanzen, der ist hinten alles zugewuchert.“

Die Absurditäten des Prinzips Großraum

Solche Satz-Schätze hat sich wie immer Drehbuchautor Ralf Husmann ausgedacht. Auch die Kamera hält sich an den bewährten pseudo-dokumentarischen Wackel-Stil. Ansonsten hinterlassen die ersten beiden Folgen einen zwiespältigen Eindruck: Die Lamellenjalousien, die Toner-Problematiken, der Kantinen-Wahnsinn – die Handlung in der Capitol-Zentrale knüpft ohne Zweifel an die Klasse der vorherigen Staffeln an, führt die Absurditäten des Prinzips Großraum meisterhaft vor. Nur die in der dritten Staffel den TV-Tod gestorbene Betriebsnudel Erika fehlt ein wenig als bürosoziologisch wichtiger Faktor.

Finsterer sieht’s dagegen in Finsdorf aus: Die neuen Figuren, zum Beispiel eine Polin, die gebrochen Deutsch spricht (wie komisch!), sind mindestens so flach wie das Land und kaum ausgearbeitet. Fast wirken sie wie Zugeständnisse an den Massengeschmack, den Stromberg bekanntlich nicht trifft: Gerade einmal eine Million Menschen sahen bislang im Schnitt zu, und man sollte ProSieben eigentlich dankbar sein, dass es tapfer an der Serie festhält und damit zeigt, dass Privatsender eben doch nicht nur auf die Quote schielen.

Stromberg braucht mehr Macht, damit die Serie wieder funktioniert

Vor diesem Hintergrund muss man als Anhänger der ersten Stunde hoffen, dass Bernd Stromberg schnell wieder Finsdorf Finsdorf sein lässt und an seine alte Wirkungsstätte zurückkehren darf. Denn jemand wie er braucht Macht, und sei es nur über die Buchstaben M bis Z im Schadensalphabet, damit die Serie funktioniert. Immerhin wittert der „Papa“, wie er sich selber gern nennt, bereits Morgenluft und formuliert über die trostlose Gemeinde: „Sieht aus wie ein Sargdeckel, könnte aber auch ein Sprungbrett sein...“

Erst wenn Stromberg dieses nutzt, wird es wohl wieder diese pikante Mischung geben, die die Fans fasziniert: aus Hass und Mitleid, Abscheu und Anziehung, dieses nach unten Treten und nach oben Buckeln, das Armes-Schwein- und Fiese-Sau-Sein in einer Person. Also bitte, lieber Drehbuchschreiber, befördere ihn! Er hat’s verdient – und wir auch.

Timo Lokoschat

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