Stonehenge der Industriekultur

Augsburg und seine Gäste bestaunen den riesigen Gaskessel und eine Kunst-Installation
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Augsburg und seine Gäste bestaunen den riesigen Gaskessel und eine Kunst-Installation

Es ist Kunst von der monumentalsten Sorte, einnehmend und buchstäblich alles überwölbend: Im alten, denkmalgeschützten Gaswerk zu Augsburg, das die örtlichen Stadtwerke seit einigen Jahren mit Hilfe der Stadtplaner-Legende Karl Ganser in einen Ort für Kreativität und Wirtschaft umzuwidmen versuchen, gibt es nun ein von dem Münchner Künstler Jürgen Scriba konzipiertes, besonders ungewöhnliches Spektakel zu bestaunen. In dem 84 Meter hohen Gaskessel-Riesen aus der Dampf- und Eisen-Zeit hängt das derzeit wohl größte Foucaultsche Pendel und schwingt wie ein Titanen-Spielzeug hin und her, sanft und fast unmerklich im Laufe des Tages der Erddrehung folgend. Gesteuert vom Pendel-Takt spielt eine eigens für den Kessel konstruierte Orgel-Installation Bachs C-Dur-Präludium – um das 130fache verlangsamt: 10000 Sekunden für das ganze Stück, daher der Name: „Bach_10K“. Es brummt und dröhnt, sanft und wohlig, während man ungläubig um den dunklen Raum wandert und schließlich über Treppen und Stege bis ins Innere des Orgel-Kreises vordringt. – Es ist, als erlebe man eine Art Stonehenge der Industriekultur. Ganser sagte zur Eröffnung, das grandiose Gaswerk müsse für seine Entwicklung in die Zukunft einen „Weg der zielstrebigen Gelassenheit“ beschreiten. Auf diesem ist es nun einen wichtigen Kunst-Schritt vorangekommen.

Wie eine Kathedrale wölbt sich der Kessel über den zwergenhaften Menschen und der nur scheinbar großmaßstäblichen Wissenschafts-Kunst in seinem Inneren, es ist, als würde der Kessel das Rumoren in seinem Bauch verwundert, aber sehr gelassen registrieren. Die Premieren-Gäste wandern und schauen, lassen sich den technischen und musiktheoretischen Hintergrund erklären. Selbst von außen sind die gedehnten Bach-Töne zu hören – so bekommt Augsburg auch noch nebenbei den mutmaßlich größten Klangkörper der Welt.

Es ist eine Installation an der Naht zwischen Wissenschaft und Kunst, die in Teilen etwas zu sensationalistisch geraten ist, vielleicht auch nur durch die vielen Glitzer-Lichter, die am und im Pendel befestigt sind und ihm unnötige Zirkus-Magie verleihen. Doch das Erlebnis Gaskessel samt Klang ist in dieser Dimension unvergleichlich und eine Reise nach Bayerisch-Schwaben wert. Als vor gut zehn Jahren Christo und Jeanne-Claude im Ruhrgebiets-Oberhausen (der Augsburger Gaswerks-Stadtteil heißt auch Oberhausen) den dortigen, noch größeren Gaskessel mit „The Wall“ bespielten, einer Wand aus Ölfässern, schrieb der Münchner Star-Journalist Claus Heinrich Meyer: „Eine Machtprobe, welche zugunsten des erstgeborenen Industriedenkmals ausgeht. Doch was für eine Einladung zum Spiel.“ Ein Urteil, das man direkt für die Augsburger Variante übernehmen kann.

Michael Grill

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