Stilvolles Verweigern

Ein Plädoyer für mehr Lebensart: Nachdem die EU Ekel-Zigarettenschachteln beschlossen hat, ist eine Renaissance des Zigarettenetuis angesagt
Robert Braunmüller |
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Ein Plädoyer für mehr Lebensart: Nachdem die EU Ekel-Zigarettenschachteln beschlossen hat, ist eine Renaissance des Zigarettenetuis angesagt

Sanft schnappt der Deckel auf, um den gepolsterten Innenraum freizugeben. Da liegen die Spender des Genusses in einer Reihe, zusammengehalten von einem mit Stoff ummantelten Gummiband. Was gibt es Erotischeres als eine Dame, die eine Zigarette aus ihrem silbernen Etui nimmt und auf dem Deckel aufschlägt, um die Nikotinmoleküle ins Schwingen zu bringen. Wir Herren nehmen die Chance wahr, das Feuerzeug zu zücken und ein gepflegtes Gespräch zu beginnen.

Dank der Europäischen Union und ihrem Regulierungswahn! Schockfotos offener Beine und zerfressener Lungen werden künftig einen Großteil der Zigarettenschachteln bedecken. Das wird eine Renaissance des Zigarettenetuis hervorrufen. Und zugleich mit diesem stilvollen Accessoire wird auch der Dienstleistungssektor gestärkt: Die Zugehfrau, die uns jeden Morgen die Zeitung aufbügelt, wird nun auch noch den Tagesbedarf an Zigaretten ins Edelbehältnis umfüllen.

Zigarettenetuis zieren die Dame, aber noch mehr gehören sie in die harte Männerwelt. James Bond hatte mal eins, in Ian Flemings Roman „Casino Royale“, gefüllt mit 50 Stück der Marke „Morland“. Im Film „Der Spion, der mich liebte“ war zusätzlich ein Mikrofilmlesegerät eingebaut, in „Moonraker“ ein Röntgengerät. Wann kommt das iCase 7 mit eingebauter Smartphonefunktion? In Kriegen können am Herzen getragene, möglichst mit den Initialen der lieben Frau monogrammierte Zigarettenetuis das Leben retten.

Und sie verschönern stilvoll eine Niederlage. Im Roman „Der Grenzwald“ schildert Heimito von Doderer, wie der feindliche Russe auf einen gewissen Zienhammer zuging, ihn um seinen Degen bat und zum Kriegsgefangenen erklärte. „Zienhammer gab ihm auch die Pistole“, heißt es weiter. „Der Russe bot mit höflicher Verbeugung sein Zigarettenetui. Und das war alles.“ Stilvolle Zeiten!

Oscar Wilde hatte die Gewohnheit, Männer, die er gern hatte, mit Zigarettenetuis zu beschenken. Wenn man sie liegen lässt, entstehen die schönsten Irrungen, Wirrungen und Intrigen. Vladmir Nabokov hat sogar einmal mit Hilfe dieses Accessoires eine eigene Relativitätstheorie der Wahrnehmung entwickelt: „Die vorbeifliegende Möwe unterscheidet das am Strand vergessene Zigarettenetui nicht von den Steinen.“ Besonders lakonisch brachte es Heinrich Böll in den „Ansichten eines Clowns“ auf den Punkt: „Er goss mir Sprudel ein, hielt mir sein Zigarettenetui hin, ich nahm eine, er gab mir Feuer und wir rauchten.“

Aber, da wir uns nun einmal in der streng riechenden Männerwelt befinden: Es kann cool sein, an der Bar mit einem Whisky mit dem Blick auf eine Ekelschachtel über die Vergänglichkeit alles Fleischlichen nachzudenken. Richtig schön barock. Und das bringt einen auf den Gedanken, dass das Christentum mit Märtyrern auf dem Bratrost, Schwertern im Herz der Mutter Gottes und ihrem Sohn als Gekreuzigtem auf sich aufmerksam macht. Dem Zulauf hat es nicht wirklich geschadet. Unsereiner ist von dem perlenbesetzten Skelett in jeder anständigen oberbayerischen Kirche so abgehärtet, dass das Bildchen einer Raucherlunge nicht wirklich schreckt.

Und heute, wenn da apokalyptischen Reiter nahen, haben sie ganz gewiss ein Etui mit der letzten Zigarette dabei. Denn die Mayas waren allererste Raucher. Was angesichts deren Untergangs natürlich wieder ein Argument ist, das die EU-Bürokraten bei der nächsten Verbotsrunde ausschlachten werden.

 

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