Stehempfang mit Hintergrundmusik

Der „Rosenkavalier” – frisch einstudiert im Nationaltheater
von  Robert Braunmüller

Die Fürstin Werdenberg dachte Richard Strauss sich als „schöne junge Frau von höchstens 32 Jahren”. Anja Harteros, die frische Marschallin der Staatsoper hätte ihn gewiss so herzlich erfreut wie das begeisterte Publikum der Neueinstudierung dieser Strauss-Oper.

Die Kunst dieser Sängerin erschöpft sich nicht in der reinen, bei dieser Musik unerlässlichen Schönheit. Die Harteros sucht stets nach der dramatischen Wahrheit: Deshalb versteht man bei ihr, heutzutage nicht selbstverständlich, jedes Wort. Sie ist als Geliebte des 17-jährigen Octavian glaubhaft und hat doch auch die Autorität für den bestimmenden Auftritt im dritten Akt. Wenn der große Zeit-Monolog noch melancholisch nachreift, ist die Sängerin in dieser Rolle die lang vermisste Idealbesetzung.

Mit dem Ochs wäre Richard Strauss kaum glücklich geworden. „Die meisten Bassisten haben bis jetzt ein scheußliches, ordinäres Ungeheuer mit Proletariermanieren auf die Bühne gestellt, an den zivilisierte Publikümer mit Recht Anstoß genommen haben”, ärgerte sich der Komponist im Alter. Der an sich tadellos singende Peter Rose fügte sich leider nahtlos in die unausrottbare Tradition, diesen ländlichen Don Juan zum Zimmermädchen-Grapscher zu vergröbern. Leider wienerte er auch noch mit gequetschten Vokalen, was nicht nur bei einem Briten ziemlich künstlich und einstudiert wirkt.

Ein bisschen übertrieb es auch die zauberhafte Lucy Crowe mit Sophies Geziertheit. Der Titelheld blieb ein wenig unterbelichtet: Ruxandra Donose sang den Oktavian recht anständig geradeheraus, leider aber auch ohne das bei der Musik von Richard Strauss hilfreiche Sahnehäubchen an Charme und Farbenreichtum.

Ins pauschale Gesamtbild fügte sich der Dirigent Leif Segerstam bestens ein. Er liebt behäbige Tempi. Das kam langsamen Stellen wie dem wunderbar aufblühenden ersten Aktschluss zugute. Leider neigte der finnische Rübezahl dazu, mit dem Bayerischen Staatsorchesters Lautes ohne Rücksicht auf die Sänger hochzudrehen. Den Auftritt der Marschallin im Beisl lärmte wie ein Mord unter den Atriden, und der Rausschmeißer-Walzer beim Abgang des Ochs passte eher ins Wiesnfestzelt als zum eleganten Wien der Kaiserin Maria Theresia.

Hier und beim Lever trampelten sich die Chargen gegenseitig auf den Füßen herum. Von Otto Schenks einst gewiss charmanter Inszenierung ist nur noch Jürgen Roses hübsche Ausstattung und der grobe Erdenrest geblieben. „So geht’s heute nicht mehr”, sagte eine ältere Dame in einer der überlangen Pausen. Dem wollen wir hier nicht widersprechen, obwohl man gerade bei dieser szenisch heiklen Oper nie weiß, ob was Besseres nachkäme.

Übrigens: Vor 100 Jahren dauerte der „Rosenkavalier” laut dem im Programmheft abgebildeten Theaterzettel von halb sieben bis halb elf. Die Neueinstudierung währt wegen zwei Pausen in Aktlänge eine gute Stunde länger. Das zerstört jeden dramatischen Bogen und degradiert Strauss zur Hintergrundmusik eines Stehempfangs.

Wieder am 8., 12., 19. Juni, 19., 28. und 31. Juli und im Oktober im Nationaltheater. Karten: Tel. 2185 1920

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