Stefan Pucher inszeniert Tschechows Frühwerk „Platonow“
Was die an dem nur finden? In Tschechows Frühwerk „Platonow“ ist der Titelheld der Liebling aller Frauen. In der Inszenierung von Stefan Pucher, mit der die Kammerspiele die Spielzeit eröffneten, bleibt das völlig unbegreiflich.
Mit 18 Jahren begann Anton Tschechow seine Arbeit an diesem Stück, das alle Motive seiner späteren Dramen schon im Kern enthält: Die Langeweile, die Dekadenz, den Alkoholismus und das Phlegma einer Pleite-Gesellschaft. Über sieben Stunden würde diese gewaltige Stoffsammlung ungekürzt dauern. Regisseur Stefan Pucher hat den Text drastisch auf zweieinviertel Stunden eingestrichen und in seiner skelettierten Fassung Tschechow als Versuchsanordnung benutzt.
Nina Wetzels Bühne signalisiert ein schickes Heute: eine Beach Lounge mit runder Jacuzzi, wippende Schalensessel im Sand, überall Flaschen und Gläser. Auf Videos winkt ein See, ab und zu donnert eine U-Bahn vorbei und spuckt neue Gäste der eleganten, aber leider bankrotten Gutsbesitzerin Anna Petrowna aus.
Die ist wie alle anwesenden Frauen völlig fasziniert von Platonow. Einst ein brillanter Kopf, ist er nun, mit nur 27 Jahren, ein verlotterter, versoffener Dorfschullehrer, ein klarsichtiger Spinner, der sich illusionslos systematisch ruiniert. Thomas Schmauser säuft Wodka aus der Flasche, raucht Kette, kotzt auch mal weißen Schleim in einen Eimer. Warum die Damen sich ausgerechnet von dem einen Ausbruch aus ihrem langweiligen, nutzlosen Leben erhoffen, kann Schmauser bei aller schauspielerischen Virtuosität nicht plausibel machen. Aber vielleicht liegt’s ja auch daran, dass bei Pucher die Frauen nur poppig aufgebrezelte, dümmliche Klischeefiguren sind. Allein Sylvana Krappatsch als Anna Petrowna hat Würde, Grandezza und Distanz – auch zu sich selbst.
Die Männer, zum Teil in Tennisshorts oder Badehosen, machen auch nicht viel bessere Figur: Betrüger, Lebemänner, Säufer, Angeber. Da hat nur ein Außenseiter, der Dieb Ossip, Persönlichkeit: Stefan Merki holt sich aus einem Rocksong die Kraft, Platonow sein Messer zwischen die Rippen zu rammen. Anders als bei Tschechow, wo ihn seine Verehrerin Sofia erschießt, lässt Pucher seinen Platonow an diesem Messerstichen verrecken, obwohl er vorher noch viel Zeit hat, ohne Anzeichen von Schmerzen eine Dame nach der anderen abzufertigen. Am Ende sind alle Hoffnungen begraben, und die Party kann weitergehen, auch wenn das Gut mittlerweile verkauft ist. Der Sand, in den Pucher seine Inszenierung gesetzt hat, hat nun einen neuen Besitzer. Sei’s drum.
Gabriella Lorenz
- Themen: