Stadt, Land, Fluss, Fabrik, Fingerhakeln

„Bavaria – Traumreise durch Bayern”: Der Heimat-Dokumentarfilm – überwiegend aus der Luft gedreht – zeigt vor allem eins: Grad schee is! Aber eben nicht nur. Oder, Herr Vilsmaier?
Adrian Prechtel |
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Aus 60 Stunden Filmmaterial, überwiegend vom Helikopter aus gefilmt, hat Joseph Vilsmaier seinen anderthalb-stündigen Film geschnitten.

AZ: Herr Vilsmaier, mit „Bavaria” zeigen Sie Ihr schönes Bayernland, so wie Sie es sehen.

JOSEPH VILSMAIER: Ja, aber das ist weitergefasst, als vielleicht manche glauben. Ich bin Münchner, deshalb kommt zwar München auch besonders lange vor. Aber ich bin in Niederbayern aufgewachsen und wir sind auch über Pfarrkirchen geflogen, und dort über das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Ich wollte das wieder rausschneiden, aber dann habe ich mir gedacht: Ich bin ja die Sprecherstimme, dann passt das ja auch, wenn ich dem Zuschauer zeige: „Da, schaugt’s, da komm ich her!"

Franken kommt dadurch auch nicht richtig umfangreich vor.

Das stimmt nicht! Zum einen sage ich gleich am Anfang: Der Film müsste 10 Stunden lang sein, damit man einen umfassenden Einblick bekommen kann. Aber das geht nicht, und so ist „Bavaria” halt schöne 90 Minuten. Abgesehen davon ist meine Familie mütterlicherseits aus Unterfranken, und wir überfliegen im Film alle drei fränkischen Regierungsbezirke. Ich habe eine starke Bindung an Franken und und wilde Geschichten erlebt.

Wie meinen Sie wild?

Wir hatten dort Weinberge und auch einen Keller mit Mostfässern. Als ich so fünf Jahre alt war, bin ich allein in den Keller geschlichen und habe an so einem Abfüllschlauch gezogen und mich mit Most volllaufen lassen, bis ich fast bewusstlos war. Meine Großmutter hat einen Höllenschreck bekommen und hat mich frisch gemolkene, fette Milch trinken lassen, was dazu geführt hat, dass ich mich total übergeben musste. Trotzdem war ich fast drei Tage außer Gefecht.

Sie haben nicht – wie es erwartbar gewesen wäre – in 3D gedreht.

Das geht technisch noch nicht. Eine große Doppelkamera für den 3D-Effekt lässt sich nicht so einfach am Hubschrauber anbringen. Aber das ist natürlich nur noch eine Frage der Zeit, bis das kompakt genug ist, mit zwei Arriflex-Kameras gleichzeitig zu drehen.

In Ihren Landschafts- und Städteaufnahmen sieht man kaum Zivilisationsnarben.

Natürlich liebe ich Bayern, aber ich wollte auch nichts beschönigen. Nur wenn man dann zum Beispiel über so ein Skigebiet fliegt, deckt im Winter der Schnee alles milde zu, und im Sommer schauen die rasierten Pisten-Schneisen von oben eben auch schön grün aus. Und so brutal wie in Österreich – mit den ganzen Wasserbecken für die Schneekanonen – scheinen mir die bayerischen Alpen auch noch nicht zugerichtet.

Den lange umstrittenen Rhein-Main-Donaukanal durchs Altmühltal verteidigen Sie sogar.

Verteidigen ist übertrieben, aber er ist jetzt nun mal da, und man hat mir in den Orten versichert, dass er der Region einen gewissen Wohlstand gebracht hat.

Wie steht es dann mit den Schattenseiten in „Bavaria”?

Mir war immer klar, dass das KZ Dachau vorkommen muss. Auch im Berchtesgadener Land verschweige ich den Obersalzberg, Hitlers Rückzugs-Residenz, nicht. Und so war es mir auch wichtig, zum Beispiel die neue Synagoge am Jakobsplatz zu zeigen und zu sagen: katholisch, evangelisch und jüdisch, das gehört alles zu Bayern!

Fehlt noch die Moschee.

Ja, das stimmt. Aber da hat unser jetziger Bundespräsident Gauck ja schon alles dazu gesagt.

Eine der bizarrsten Szenen – nicht aus der Luft – ist die Fingerhakl-Meisterschaft.

Da gab es noch viel brutaler anmutende Szenen, die ich weggelassen habe. Ich glaub', wenn das ein Nichtbayer sieht, denkt der, er ist bei einem archaischen Stamm mit wundersamen Ritualen gelandet.

Sie spielen mit Klischees, aber brechen sie auch. Ein Beispiel ist die Film-Musik von Haindling.

Ja, es geht los mit dem Lied, wo sich „mir san mir” natürliche auf „Bier” reimt. Aber die Lieder und die Musik sind ironisch, oft frech. Und was die Klischees anbelangt: Manche Klischees mag ich, andere nicht, aber zu Bayern gehört nun mal „Die Mess’ und die Mass”!

Sie machen nicht den Fehler, in Ihrem Film den Zuschauer mit pathetischen Sätzen zuzuquatschen.

Das war mir wichtig: Nicht dauernd alles kommentieren, sondern vor allem die Bilder wirken zu lassen. Es geht eh' recht schnell von Ort zu Ort.

Oft erfährt man nur, in welcher Gegend man ist, aber nicht, was man genau – für eine Burg, ein Städtchen oder welchen Fluss – sieht.

Ja, weil sonst eben alles zugetextet gewesen wäre. So ist es schön, wenn die Leute ein bisserl nachforschen und sagen: Mei, war das eine schöne Gegend! Da fahr' ich bald mal hin! Adrian Prechtel

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