Staatsnarretei unterm Schutz der Polizei
Demo und Rede: Bei den Münchner Opernfestspielen zieht das gut bewachte Straßentheater "Narrenschiff" samt Blaskapelle ums Nationaltheater - und Jutta Limbach philosophiert im Pavillon über den Zorn
In Hinterhöfen und Kellern wird allerlei Verrücktes gemacht. Eine Spinnerei mitten im Zentrum erfordert dagegen einen logistischen Aufwand, wie ihn sich höchstens die Staatsoper leisten kann. Ihrem Straßentheater „Narrenschiffe“ fuhr im Interesse der öffentlichen Ordnung ein Polizeiauto voran, weitere Beamte begleiteten den Zug und ein Dutzend privater Wachleute wahrte die Verkehrssicherheit.
Vor dem Nationaltheater erschreckte eine anarchistische Blaskapelle (Musik: Lucia Ronchetti) zuerst die Besucher von „Medea in Corinto“. Ein wie Rumpelstilzchen irrlichternder Darsteller erinnerte mit Auszügen aus Sebastian Brandts Moralsatire „Das Narrenschiff“ von 1494 an die Vergänglichkeit alles irdischen Daseins. Dann setzte sich der Zug mit einem alten Lastwagen in Bewegung, dem die Musiker, ein Sprechchor und 300 Neugierige folgten. In der Maximilianstraße hatten die dort mittlerweile ortsüblichen Araber was zum Schauen. Dann ging es vom Hofbräuhaus zum Odeonsplatz. Hinter der Residenz wurden die Gäste eines Empfangs erschreckt, ehe der Zug mit einem Trauermarsch vor dem Opera Mini Space Pavillon auf dem Marstallplatz endete.
Pfeffer für die Demokratie
Drin sprach dann Jutta Limbach, die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, mit sanfter Stimme über „Zorn“. Sie begann bei Homer, hielt sich aber an die goldene Regel, dass man über fast alles reden könne, nur nicht länger als 25 Minuten. Limbach beschrieb den oft geschmähten Affekt unter Berufung auf den mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin als eine Art würzenden Pfeffer der demokratischen Auseinandersetzung.
Der Staatsoper ist es mit dieser Verbindung aus Demo und Ansprache gelungen, das zuletzt zum steifen Staatsakt erstarrte Ritual des Festspielvortrags zu durchbrechen. An den drei kommenden Juli-Dienstagen wird die Aktion mit wechselnden Rednern fortgesetzt: Nächste Woche spricht Salzburgs Ex-Intendant Gerard Mortier über Mäßigung. Der Altprovokateur Bazon Brock folgt am 13. Juli mit Gleichmut, für Entzücken am 20. Juli wird derzeit noch ein Vordenker gesucht.
Robert Braunmüller
Die „Narrenschiff“-Umzüge beginnen in den ersten drei Juli-Wochen jeweils dienstags um 18.45 Uhr vor dem Nationaltheater