Spätes Mysterium

Das legendäre Juilliard String Quartet spielt im Prinzregententheater Haydn, Janácek und grandiosen Beethoven
von  Christa Sigg

"Mit 66 ist noch lang noch nicht Schluss“ singt der immergrüne Udo Jürgens. Genauso alt wird heuer das Juilliard String, das damit so etwas wie der Jopie Heesters unter den Streichquartetten ist.Allerdings mit dem entscheidenden Vorteil, immer wieder in den Jungbrunnen tauchen zu können.
1996 sagte mit dem 77-jährigen Robert Mann das letzte Gründungsmitglied adieu. Drei der aktuellen Crew tummeln sich irgendwo zwischen 65 und gut 70, seit einem Jahr werden die gemütlichen Herren allerdings von einem Jungspund angefeuert.

Primarius Joseph Lin macht seiner Position alle Ehre und gibt tatsächlich den glühenden Ton an, manchmal etwas auftrumpfend, wie etwa in Joseph Haydns G-Dur-Quartett op. 54/1. Aber da halten sich die Älteren auch dezent zurück, nuscheln im Hintergrund, als wollten sie ihrer neuen Nummer Eins bloß nicht in die Parade fahren. Doch wenigstens vom Cellosolo im Trio hätte man gerne mehr vernommen.

Auch im Kopfsatz des seelendramatischen ersten Janácek-Quartetts, das sich auf Tolstois „Kreuzersonate“ bezieht, geht’s zunächst noch etwas seifig zur Sache. Gleichwohl in packendem Tempo, mit herrlich fieberndem Grummeln aus dem Untergrund, aber Ronald Copes (Violine), Samuel Rhodes (Bratsche) und besonders Cellist Joel Krosnick lassen sich erst langsam aus der Reserve locken. Und erreichen mit minimalen Mitteln das Maximum. Jahrzehnte aufeinander eingespielt, mit traumwandlerischer Sicherheit unterwegs, da kann man die eine oder andere Intonationstrübung getrost ignorieren.

Denn was das Juilliard dann aus Beethovens Brocken op. 130 und der dazugehörigen Großen Fuge op. 133 zaubert, ist ein Mysterium. Von der souveränen Ruhe, die aus dem Kopfsatz-Adagio atmet über das grandios hingeschlenzte Presto bis zur Cavatina, in der die Vier schließlich ein Elysion von betörender Schönheit öffnen. Man müsste abheben, vergehen, weiß Gott was, wenn nicht die Große Fuge in diesen Hortus conclusus einbräche.

Bezeichnenderweise perlt nur dem 33-jährigen Primgeiger Schweiß von der Stirn, die grauhaarigen Herren sitzen da, wie sie gekommen sind, und haben noch genug Energie für den wunderbaren langsamen Satz aus Haydns op. 20 Nr. 1 – diesmal übrigens mit erstaunlich mehr Präsenz als am Anfang dieses einzigartigen Prinze-Abends, an dem die Zeit manchmal still stand.

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