Sophie Marceau im Interview: "Ich bin die Lieblingstochter"

AZ-Interview mit Sophie Marceau: Mit 14 Jahren wurde sie 1980 als brave Vic in der Komödie "La Boum - die Fete" zum Star. Nach "La Boum 2 - Die Fete geht weiter" kaufte sie sich aus dem Vertrag frei, sie wollte nicht festgelegt werden und einen dritten Teil drehen.
Sophie Marceau: "Dieser Film hat mir gut getan"
National und international arbeitete sie danach mit renommierten Regisseuren zusammen wie Maurice Pialat, Bertrand Tavernier, Andrzej Zulawski ihrem langjährigen Lebensgefährten und Mel Gibson.
In Francois Ozons freier Adaption des autobiografisch geprägten Buchs von Emmanuèle Bernheim "Alles ist gut gegangen" spielt Sophie Marceau die Tochter eines Bonvivant und Patriarchen, der nach einem Schlaganfall seinem Leben ein Ende setzen möchte und von ihr und ihrer Schwester Hilfe verlangt, um in der Schweiz zu sterben. Denn der assistierte Suizid und die aktive Sterbehilfe sind in Frankreich verboten, noch im vergangenen Jahr wurde eine Gesetzesänderung im Parlament verhindert.
AZ: Madame Marceau, ist Ihnen das Thema von "Alles ist gut gegangen" nahe gegangen?
SOPHIE MARCEAU: Der Film ist nicht meine eigene Geschichte. Aber ich konnte die Gefühle einer Tochter nachempfinden, die ihrem Vater bei der Vorbereitung für einen selbstbestimmten Tod helfen soll. Es ist verrückt, was die Schwestern alles anstellen müssen, um seinen Wunsch zu erfüllen. Alle Geschichten, in denen ich spiele, gehen mir irgendwie nahe, deshalb bin ich Schauspielerin. Und dieser Film hat mir gut getan.
"Ich schätze Ozons Verzicht auf überflüssigen Pathos oder Sentimentalität"
Inwiefern?
Euthanasie ist ein sehr heikles Sujet. Allein durch das Reden darüber, habe ich viel gelernt und mich auch allein gefühlt. Was der alte Emmanuèle durchgemacht hat, war erschütternd. Deshalb schätze ich Francois Ozons Verzicht auf überflüssigen Pathos oder Sentimentalität. Der Kampf um die Würde eines Menschen benötigt solche Gefühlsverstärker nicht. Dazu hat der Film den perfekten Mix von Humor und Leichtigkeit, dass man trotz aller Dramatik und Trauer mal durchatmen konnte. Auch den Thrilleraspekt, um das Gesetz zu umgehen, fand ich irrsinnig spannend. Tod geht uns alle an.
Wie würden Sie darauf reagieren, wenn man ewig leben könnte?
Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren würde. Vielleicht wäre es interessant zu erfahren, was in 100 Jahren oder so passieren würde. Eine reizvolle Utopie, aber auch eine erschreckende.
Ist es nicht erschreckend, dass Menschen ins Ausland fahren müssen, um sich ihren Todeswunsch zu erfüllen?
Das Buch von Emmanuèle Bernheim erschien 2013, da waren die Gesetze noch schärfer. Man stand mit einem Fuß im Gefängnis, wenn man jemanden beim Suizid assistierte. Die Gesetze wurden inzwischen geändert, aber die Debatten entflammten im vergangenen Jahr neu. Auch wenn die Palliativmedizin Fortschritte erzielt und einen sanften Tod erlaubt, sollte jeder für sich seine ganz persönliche Entscheidung treffen dürfen, ohne Vorschriften vom Gesetzgeber. Warum respektiert man den Willen eines Menschen nicht, der selbstbestimmt sterben will? Warum lässt man ihn das nicht friedlich im Kreise seiner Lieben tun? Warum lässt man die betroffenen Familien in dieser furchtbaren Situation allein? Verbote halten niemanden ab, wie Zahlen aus Nachbarländern belegen. In Frankreich mogelt man sich bei diesem Thema durch, fehlt es an einer klaren politischen Vorgabe. "Alles ist gut gegangen" stellt existenzielle Fragen an die Gesellschaft und befeuert eine notwendige Debatte.
"Töchter sind besonders die Leidtragenden, wenn es um Empathie geht"
Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Ich habe das Buch "Les Bouées jaunes" von Serge Toubiana gelesen, in dem er von seiner Frau Emmanuèle Bernheim erzählt, deren Vater sterben will. Sein Blick ist der eines liebenden Mannes auf seine - auch mit sich - kämpfende Frau und ließ mich die Figur besser begreifen. Ein sehr dezent geschriebenes Buch, das mir aber bei der Identifikation mit ihr erleichterten. Gerade als privat und beruflich alles gut läuft, wird die Schriftstellerin aus ihrer Komfortzone katapultiert, weil ihr Vater einen Schlaganfall hat. Sie hatte keine Wahl, die Dinge stürzten auf sie ein und erforderten schnelles Reagieren. Ihr besonderes Verhältnis als Lieblingstochter zum Vater bringt sie dazu, sich der Vergangenheit mit den zahlreichen Verletzungen zu stellen und sich dem Patriarchen dennoch unterzuordnen, obgleich sie mit seiner Entscheidung nicht einverstanden ist. Bewundernswert, wie sie den Weg mit ihm bis zum Ende geht. Töchter sind besonders die Leidtragenden, wenn es um Empathie geht. Es ist brutal, ihnen die Verantwortung für einen assistierten Suizid oder aktive Sterbehilfe aufzubürden. Ich würde das meinen Kindern nie zumuten, es ist ihr Leben.
"Ich brauchte eine Auszeit, Zeit nachzudenken, was ich als Schauspielerin eigentlich will"
Ihre Eltern sind bereits gestorben...
Ich habe meine Mutter und meinen Vater begleitet und könnte mir nicht vorstellen sie in dieser Situation allein zu lassen.
Warum haben Sie sich in den letzten Jahren vom Filmgeschäft zurückgezogen?
Ich brauchte eine Auszeit, Zeit nachzudenken, was ich als Schauspielerin eigentlich will. Und dann hat mich Francois Ozon sozusagen wieder "wach geküsst" und mir diese wunderbare Rolle anvertraut.
Francois Ozon zählt zu den aktivsten Regisseuren Frankreich, dreht fast jedes Jahr einen Film. Wieso hat es so lange gedauert, bis Sie sich gefunden haben?
Ich habe seinen Werdegang aufmerksam verfolgt und liebe seine Filme wie "Unter dem Sand" oder "Angel". Einige Male wollte er mich engagieren, aber es passte bei mir dann doch nicht. Andere wären sauer gewesen, Francois nicht. Nun hat es geklappt, Zeitpunkt und Rolle stimmten. Das Arbeiten mit ihm stellt eine Herausforderung dar. Er sprüht vor Energie und ist sehr präzise, fackelt nicht lange herum und weiß, was er will. Ein Regisseur, der seine Schauspielerinnen liebt. Nach meiner Filmpause hat er wieder die Lust auf die Schauspielerei in mir geweckt.
"Wer etwas zu sagen hat und über Würde verfügt, wird attraktiv für andere"
Nach Gibsons "Brave Heart" 1995 oder 1999 als Bond-Girl in "Die Welt ist nicht genug" rollte Ihnen Hollywood den Roten Teppich aus. Warum sind Sie nicht da geblieben?
Ich bin aus professionellen Gründen in die USA gegangen, wohnte nie in Hollywood und plante auch keine US-Karriere. Ich bin Französin und arbeite gerne in Frankreich. Meine Filme - französische wie englischsprachige - werden in der ganzen Welt gesehen. Die Amerikaner brauchen mich nicht und wenn, können sie sich melden. Bei einem Super-Angebot wäre ich dabei, würde aber nichts übers Knie brechen. Mein neuer Film von Liza Azuelos heißt übrigens "I love America".
Sie gelten als beliebteste Schauspielerin Ihres Landes und werden seit Jahrzehnten wegen Ihres Aussehens mit Komplimenten überschüttet...
Das ist zwar schmeichelhaft, aber ich möchte für andere Qualitäten gelobt werden. Das gute Aussehen habe ich von meiner Mutter geerbt. Und bevor Sie mich nach meinem persönlichen Schönheitsrezept fragen: Das gibt es nicht. Ich gehe früh ins Bett und selten bis in die Puppen aus, halte viel von gesunder Ernährung und nehme keine Medikamente, treibe etwas Sport und bewege mich auch sonst viel. Ich fühle mich wohl in meiner Haut, besser als mit 20 Jahren. Nur an einer Schwäche halte ich fest: Das Rauchen.
Schönheit ist auch ein Türöffner, vor allem in der Filmbranche.
Das war leider lange das Einzige, mit dem Frauen punkten konnten, der Rest interessierte nicht wirklich. Natürlich haben wir die Attraktivität zu unserem Vorteil genutzt, vieles wurde leichter dadurch. Das ändert sich langsam. Es gibt tolle Frauen, die durch ihr Wissen und ihren Charakter faszinieren, durch ihre innere Ausstrahlung. Wer etwas zu sagen hat und über Würde verfügt, wird attraktiv für andere. Und das ist gut so.