Sonnenbad für das Ego

Im sommerlichen Cannes gibt sich Aki Kaurismäki altersmilde – und selbst der allseits geächtete Mel Gibson wagt einen Abstecher zur derzeit größten Medienbühne der Welt
Adrian Prechtel |
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Vokuhila: vorne kurz, hinten lang. Weil Stars Trends setzen können, droht die Rückkehr der Prollfrisur der 80er. Jedenfalls hat Brad Pitt so einen Schnitt und sitzt mit weißem Sakko, Unterhemd, Goldkette und gelb getönter Brille da und gibt Autogramme – den Journalisten, die jegliche Distanz aufgegeben haben. Denn er ist die Ikone des Festivals. Nicht, weil Terrence Maliks „Tree of Life” so gut angekommen ist, sondern weil er etwas Besonderes mitbringt: seine Frau!

Am Abend im Blitzlichtgewitter schaffen Jolie und Pitt diese strahlende Balance aus Lässigkeit, Liebe und Würde. So ist in Zeiten sich auflösender Bindungstraditionen ein Paar die eigentliche Attraktion, nicht mehr der begehrenswerte Single. Das ist neokonservativ, und so leiden die zu Hunderten angereisten Klatschreporter unter der sonstigen Halbierung des Staraufgebots, weil alle Großen ihre bessere Hälfte zu Hause gelassen haben, wie Johnny Depp seine Vanessa Paradis. Er posierte stattdessen mit Penélope Cruz, während ihr Javier Bardém Baby hüten musste.
Auch Sean Penn – nicht gerade eine Frauenversteher-Typ – hat seine sinnliche Neue, die Schauspielkollegin Scarlett Johansson nicht dabei. Dass Mel Gibson hingegen alleine gekommen ist, überrascht nicht nach einem Frauenprügelskandal. Es wundert viel mehr, dass er überhaupt das Licht der medialen Öffentlichkeit sucht, um mit Jodie Foster den gemeinsamen Film „Der Biber” vorzustellen. Gerade hier in Frankreich verachtet man die lähmende politische Korrektheit und empört sich über die Amerikaner, wie demütigend sie gerade den französischen Spitzenpolitiker Dominique Strauss-Kahn wegen einer sexuellen Anschuldigung in New York verhaftet haben.

So hat Gibson also – wie schon seit langem der in den USA mit einem Haftbefehl gesuchte Roman Polanski – beschlossen, die größere Liberalität in Europa zu nutzen und sich nach Jahren wieder in der Öffentlichkeit zu zeigen – nach seinen antisemitischen und katholisch-sektenhaften Ausfällen, Alkoholabstürzen und Prügelvorwürfen.

Heiter, aber auch sehr diplomatisch, nimmt Kulturstaatsminister Bernd Neumann beim „German Films”-Empfang zur Kenntnis, dass wieder kein deutscher Film im Wettbewerb zu finden ist, so dass Andreas Dresens „Halt auf halber Strecke” in der Nebenreihe „Un certain regard" bejubelt werden musste. Die Deutschen-Allergie der Festival-Macher in Cannes erwähnte der Minister natürlich nicht. Als Retour-Kutsche soll es ja auch auffallend wenig französische Filme auf der Berlinale geben – auch so können sechzig Jahre deutsch-französische Kulturfreundschaft aussehen.
Nach all dem Glamour hat sich das Festival wieder mehr auf die Inhalte konzentriert und begeistert zur Kenntnis genommen, dass der finnische Dauerpessimist und Ironiker, Aki Kaurismäki, dem Wettbewerb einen Film mit Happy End geschenkt hat: „Le Havre”, in dem Solidarität der kleinen Leute und Glück nicht nur einem schwarzen Flüchtlingsjungen rettend weiterhilft.

Kaurismäki, mit auffallend gesunder Gesichtsfarbe, bemerkte denn auch selbst eine gewisse Altersmilde: „Je zynischer und skeptischer ich über die Welt und das Leben werde, desto sanfter werden meine Filme.” Dazu zog er ironisch an seiner elektronischen Zigarette, die er zuvor der Presse vorgeführt hatte, wegen des „idiotischen” Rauchverbots: „Vor zwanzig Jahren wurde noch in der Pressekonferenz geraucht.”

Dann sinniert er über das fehlen „echter Männer” seit Jean Gabin: „Heute sind sie jung, alle geschniegelt und parfümieren sich sogar. Aber vielleicht verachte ich das nur, weil ich eifersüchtig bin”, sagt er mit leicht lächelnder Miene und denkt an Johnny Depp oder eben die Ikone des Festivals, Brad Pitt.

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